Alltagsmythen: Oma Courage

Es sollte wohl ein amüsantes Wortspiel sein. Oder eine an Heldenmythen gemahnende Assoziation beschwören. Herausgekommen ist ein geschmackloser Fehlgriff, eine Verhöhnung all dessen, wofür Brecht und seine Mutter Courage stehen; und nicht zuletzt ein schlecht gewobener Schwarz-Weiß-Mythos um eine stählerne Lady, die mit ernster Miene und wetterfest aufgeschlagenem Kragen den Blick gen Himmel richtet, um die Welt einmal mehr wissen zu lassen: Ich fürchte nichts und niemanden.

“Ich lass mir den Krieg von euch nicht madig machen”, muckt Mutter Courage in Brechts Theaterstück auf und wirbt dafür, die Soldaten, wenn sie denn schon in den Höllenschlund befördert werden, vorher noch ausreichend essen und trinken zu lassen und ihnen gutes Schuhwerk mitzugeben. Ich bin gespannt, wer in der modernen Dramaturgie den Refrain klatscht und dazu singt:

“Das Frühjahr kommt, wach auf, du Christ!

Der Schnee schmilzt weg, die Toten ruhn.

Und was noch nicht gestorben ist,

das macht sich auf die Socken nun!”

Aber vielleicht haben die Verantwortlichen es auch einfach nur verpasst, vorab noch mal in das Lied der Mutter Courage reinzuhören. Falls ihr das für sie nachholen wollt: Bitte hier entlang.

Anekdote am Rande: Stracks (hui, Wortspiel) bestritt Frau Zimmermann auf X, dass es überhaupt einen Zusammenhang zwischen Oma und Mutter Courage gebe. Der Bezug zum Dreißigjährigen Krieg scheint mir dagegen durchaus gegeben. Warum ich das denke, könnt ihr hier nachlesen.

Mehr lesen

Deutsche Grammatik: das Präteritum

Das Perfekt ist eine Vergangenheitsform, in der wir erzählen, was sich innerhalb eines vergangenen Zeitraumes ereignet hat. Um diese Form bilden zu können, benötigen wir das Partizip II des Verbs und die Hilfsverben haben oder sein, die im Präsens erscheinen. Denn mithilfe des Perfekts blicken wir vom heute aus in die Vergangenheit zurück und benennen, was sich ereignet oder verändert hat.

Das Präteritum bringt eine gänzlich andere Perspektive ins Spiel. Es beleuchtet die Vergangenheit nicht vom Heute aus, sondern verhält sich quasi wie eine Präsensform dazu. Daher ist das Präteritum die klassische Erzählform des Romans, der eine in sich abgeschlossene Episode erzählt, als fände sie gerade jetzt statt. Wir betrachten die Vergangenheit nicht, wir tauchen in sie ein.

Mehr lesen

Deutsche Grammatik: das Perfekt

Heute hier, morgen dort: die Zeitformen des Verbs

Die deutsche Sprache kennt sechs Zeitformen, die es uns ermöglichen, durch die Vergangenheit zu reisen oder einen Blick in die Zukunft zu werfen, und zwar ganz ohne Kristallkugel oder Zeitmaschine. Stattdessen nehmen wir ein paar kleine Änderungen am Verb vor und zack! sind wir dort, wo wir gerade hinwollten.

Doch schon das Bild der Zeitreise zeigt, wie eng Zeit und Raum miteinander verwoben sind. Die Reise selbst findet in einem mentalen Raum statt, der es uns erlaubt, vorauszuschauen oder zurückzublicken. Und dieser mentale Raum entsteht durch die Sprache, die wir sprechen und in der wir die Welt ordnen.

Die deutsche Sprache umfasst viele Begriffe, in denen die Verbindung von Zeit und Raum deutlich wird,  häufig sind dies Adverbien oder Präpositionen. Denn beide Wortarten helfen uns, Raum und Zeit zu lokalisieren: Wir befinden uns beispielsweise in Eile oder in einem Raum, vor der Prüfung oder vor dem Prüfungsraum. Und wir treffen uns „um“ 18:00 Uhr in der Kneipe um die Ecke.  

Zeit und Raum ermöglichen und begrenzen unser Sein und unser Werden. Daher ist es nicht erstaunlich, dass sie auch in den Tempusformen des Verbs eine besondere Verbindung eingehen. In diesem Kapitel schauen wir uns das an der Bildung der Zeitform „Perfekt“ im Deutschen mal genauer an.

Mehr lesen

Deutsche Grammatik: Das Verb

Teil 1: Verwendung, Konjugation, Hilfs- und Modalverben

Wer auf dieser Seite regelmäßig mitliest, weiß es bereits: Ich versuche gerade, eine Grammatik zu schreiben. In Kapitel I geht es um das Verb und um die Frage, was es alles Wunderbares leistet, ohne dass wir dies im Alltag zu würdigen wüssten. Abschnitt 1 behandelt die Bildung der Personalformen und geht auf Hilfsverben sowie die Modalverben ein. Ergänzungen, Kritik, Lob oder Fragen sind willkommen, nutzt dafür gern die Kommentarfunktion.

Mehr lesen

Woran ich gerade arbeite: Deutsche Grammatik für Lehrkräfte und fortgeschrittene Selbstlerner/innen

Mein letztes Buchprojekt „Wie der Tod ins Leben kam – Geschichten vom Sterben und der Inexistenz des Todes“ ist vorläufig beendet. Der nächste Schritt wird nun sein, es noch einmal lektorieren zu lassen und anschließend zu veröffentlichen.

Um die Wartezeit zu überbrücken, beginne ich jetzt schon mit einem neuen Projekt: einem Handbuch zur deutschen Grammatik, das sich vor allem an Lehrende und an Selbstlerner richtet, die bereits über gute Deutschkenntnisse verfügen. Warum und wieso – davon möchte ich heute erzählen.

Mehr lesen

Pfingsten als Wunder des Hörens

Pfingsten das liebliche Fest ist gekommen – und mit ihm für viele die Frage: Wieso konnten die Apostel plötzlich in “Zungen” sprechen, also in vielen unterschiedlichen Sprachen, die sie nie gelernt hatten?

Häufig fällt in diesem Zusammenhang der Begriff “Glossolalie”, worunter man das Sprechen in Ekstase versteht. Weniger bekannt scheint dagegen, dass das Pfingstwunder in erster Linie mal ein Wunder des Hörens war. In “Literalisierung, Verschriftlichung und Sprachreform in Grimmelshausens Roman ‘Simplicissimus Teutsch‘” habe ich dem Phänomen einen Exkurs gewidmet – im Folgenden könnt ihr einen kleinen Auszug daraus lesen.

Frohe Pfingsten!

Mehr lesen

Ist Lesen gesund?

Es gibt so Fragen, die mich am Verstand derer zweifeln lassen, die sie stellen.

Ist Leben gesund? Ist Atmen gesund?

Natürlich nicht. Ebenso wenig wie das Lesen. Lesen heißt leben, heißt lieben, schauern, mitfühlen, erbeben, staunen, wissen wollen, analysieren, genervt sein, ablehnen, befürworten, den Verstand oder das Gefühl schärfen, nachhallen lassen, spotten, erleiden, in Trance verfallen, übersättigt oder leer sein, träumen oder halluzinieren …

Wenn du also keinen anderen Grund zum Lesen hast als den, gesund zu bleiben, lass es lieber. Warum, das habe ich in der folgenden kleinen Schreibübung zu erzählen versucht, die schildert, was wirklich geschieht, wenn du liest, weil du liest.

 

Mehr lesen

Glaube, Liebe, Hoffnung – sind es drei?

In meinem Gedichtband “Atem Sein” geht es um das Dreigespann von Glaube, Liebe und Hoffnung. Denn die Gedichte entstanden zu einer Zeit, als ich mich intensiv mit der Frage befassen musste, ob ich nun eigentlich an Dendaoben glaube oder nicht.

Eine klare Antwort darauf zu geben, fällt mir bis heute nicht leicht. Denn tatsächlich bin ich im tiefsten kindlichen Herzen gläubig, aber kein bisschen religiös. Und natürlich schilt mein Verstand unablässig mit mir, wenn ich mich über all seine Zweifel hinweg bei dem bedanke, der alles geschaffen und uns vertrottelte Menschen mitten hinein platziert hat. Und der immer mal wieder seine schützende Hand über mich hält, auch ohne, dass ich ihn darum bitte.

Davon abgesehen glaube ich, dass es IHM ohnehin nicht so wichtig ist, ob wir jetzt glauben oder nicht, denn ER kennt ja die Wahrheit. Viel wichtiger ist es doch für uns, wie wir aufs Leben schauen und wodurch wir Mut und Hoffnung schöpfen – durch unseren Glauben, unsere Art zu lieben oder auch aus dem, worauf wir hoffen. Sofern sich diese drei Weisen, in der Welt zu sein, überhaupt voneinander abgrenzen lassen.

Mehr lesen

Naturkatastrophen – oder sollte man besser Zivilisationskatastrophen sagen?

Es ist viele Jahre her, dass ich gemeinsam mit einer Freundin eine Arbeit über “Naturkatastrophen” schrieb. Im Rahmen unserer Recherchen interviewten wir damals Menschen, die selbst schon starke Erdbeben erlebt hatten. Es war berührend, wie sie darüber sprachen, überraschend, wie souverän sie zum Teil damit umgingen, und es stimmte uns besonders nachdenklich, wie unterschiedlich Regierungen agierten, um gerade die Ärmsten (nicht) vor der Bedrohung zu schützen.

Mehr lesen

Abbas Khider: Deutsch für alle. Das endgültige Lehrbuch.

Kurzvorstellung und Leseerfahrung

Zwar bin ich mal wieder spät dran, denn das satirische „Deutschlehrbuch“ des deutsch-irakischen Schriftstellers Abbas Khider erschien bereits 2019. Doch habe ich mich auch 2023 noch sehr auf die Lektüre dieses Buches gefreut, ja, ich war nach all den Ankündigungen, die ich dazu gelesen hatte, sogar ein wenig aufgeregt, als ich es endlich in der Hand hielt. Doch um das Ergebnis vorwegzunehmen: Die Freude hat nicht lange angehalten. Und vielleicht ist das Buch gerade deshalb empfehlenswert.

Mehr lesen