Alltagsmythen: Oma Courage

Es sollte wohl ein amüsantes Wortspiel sein. Oder eine an Heldenmythen gemahnende Assoziation beschwören. Herausgekommen ist ein geschmackloser Fehlgriff, eine Verhöhnung all dessen, wofür Brecht und seine Mutter Courage stehen; und nicht zuletzt ein schlecht gewobener Schwarz-Weiß-Mythos um eine stählerne Lady, die mit ernster Miene und wetterfest aufgeschlagenem Kragen den Blick gen Himmel richtet, um die Welt einmal mehr wissen zu lassen: Ich fürchte nichts und niemanden.

„Ich lass mir den Krieg von euch nicht madig machen“, muckt Mutter Courage in Brechts Theaterstück auf und wirbt dafür, die Soldaten, wenn sie denn schon in den Höllenschlund befördert werden, vorher noch ausreichend essen und trinken zu lassen und ihnen gutes Schuhwerk mitzugeben. Ich bin gespannt, wer in der modernen Dramaturgie den Refrain klatscht und dazu singt:

„Das Frühjahr kommt, wach auf, du Christ!

Der Schnee schmilzt weg, die Toten ruhn.

Und was noch nicht gestorben ist,

das macht sich auf die Socken nun!“

Aber vielleicht haben die Verantwortlichen es auch einfach nur verpasst, vorab noch mal in das Lied der Mutter Courage reinzuhören. Falls ihr das für sie nachholen wollt: Bitte hier entlang.

Anekdote am Rande: Stracks (hui, Wortspiel) bestritt Frau Zimmermann auf X, dass es überhaupt einen Zusammenhang zwischen Oma und Mutter Courage gebe. Der Bezug zum Dreißigjährigen Krieg scheint mir dagegen durchaus gegeben. Warum ich das denke, könnt ihr hier nachlesen.

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Berichterstattung im SPIEGEL: die vornehmste Art, sich selbst zu entlarven

2015 wurde der Begriff „Lügenpresse“ zum Unwort des Jahres gekürt. Zu Recht, wie ich finde, denn wenn sich jemand schäbig verhält, muss man ihn nicht zusätzlich durch eine schäbige Wortwahl diffamieren, es reicht, wenn man die (vermeintlichen) Untaten aufdeckt. Auch der SPIEGEL berichtete damals über die Wahl sowie über Rügen, die die Darmstädter Jury Begriffen wie „erweiterte Verhörmethoden“ und „Russlandversteher“ erteilte.

Dumm nur, wenn dieselben Medien, die sich gegen Diffamierung wehren, ihre eigenen Prinzipien zerlegen, als gäbe es kein Morgen mehr, in dem Leser, die sich einen Rest Anstand bewahrt haben, fragen, wie „das“ geschehen konnte.

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Charb: Brief an die Heuchler. Buchempfehlung

In seiner Streitschrift „An die Heuchler“ reagierte Stéphane Charbonnier, damaliger Redaktionsleiter des französischen Satire-Magazins Charlie Hebdo, auf Islamophobie-Vorwürfe. Im folgenden Beitrag möchte ich euch diese Schrift vorstellen, die Charb zwei Tage vor seiner Ermordung im Januar 2015 beendete. 

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Mythos Faktencheck

In meinem Beitrag „Verschwörer sind immer die anderen“ habe ich skizziert, wie Alltagsmythen funktionieren. Der von Roland Barthes entliehene Begriff „Alltagsmythen“ umfasst, was wir heute auch als „Narrative“ oder „Verschwörungsmythen“ bezeichnen. Nicht der Inhalt, sondern die Inszenierung ist Kennzeichen einer solchen „mythischen Sprechweise“. Dazu gehört, dass eine Botschaft vermittelt werden soll, die über den tatsächlichen Kern des Textes (oder der medialen Aufbereitung) hinausgeht.

In diesem Beitrag möchte ich die Behauptung, dass auch und gerade sogenannte Faktenchecks leider häufig einer mythischen Inszenierung gleichen, exemplarisch an einem „Faktenfuchs“ (BR) zur Wirksamkeit von Covid-Impfstoffen veranschaulichen.

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Verschwörer sind immer die anderen

Über den Sinn mythischer Sprechweisen und den Unsinn, sie faktisch widerlegen zu wollen

Alle reden über Verschwörungsmythen, aber natürlich sind es immer die anderen, die sie verbreiten. Doch was ist eigentlich ein Mythos? Schon in den 1950er Jahren befasste sich mit dieser Frage der französische Literaturwissenschaftler Roland Barthes und kam zu dem banal anmutenden Ergebnis, dass der Mythos eine Aussage sei. Eine Aussage allerdings, die sich stets in der Schwebe befindet, die sich weder am sprachlichen (oder bildlichen) Zeichen festmachen lässt, noch im Inhalt aufgeht oder in dem, worauf sie deutet.

Was haben uns Barthes Texte für die heutige Mythenbildung noch zu sagen? Und warum betreffen seine Thesen nicht etwa nur die „Ungebildeten“ oder „Verschwörungserzähler“, sondern auch die professionellen Vermittler von Wirklichkeit und Wissenschaft?

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Die letzte Anstalt oder: Antirassismus made in Germany.

Plädoyer wider die Ignoranz und für das freie Denken.

In den USA wurde wieder einmal ein Schwarzer auf grausame Weise ermordet und in Deutschland schwappen die Empörungswellen über. Gründlich, wie wir Deutsche sind, muss sofort geklärt werden, welche Mitschuld uns dieses Mal trifft. Wie ist es um den Rassismus in Deutschland bestellt? Die Kabarettsendung „Die Anstalt“ vom 14.07.2020 versprach Aufklärung beziehungsweise bemühte sich, auch die Aufklärer vom Sockel zu stoßen. Was, mit Verlaub, keine wirkliche neue Debatte anstößt, sondern seit Jahren diskutiert wird.

Nachdem also Kant (Rassist) und  Marx (Rassist und Antisemit) auf die übliche Weise „enttarnt“ worden waren, wollte man die Nummer wohl noch irgendwie toppen.

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„Das falsche Signal“ – Gedankensplitter zu einer überflüssigen Phrase

Nachrichtensendung, Talkshow, Dokumentation: Wo immer publikumswirksam debattiert wird, da ertönt es: das falsche Signal. Nicht als Störsignal in der Übertragung der Sendung, sondern im Sendungsbewusstsein. Die Steuerpläne der Bundesregierung, Rabattschlachten im Marketing, Gerichtsurteile, Betreuungsgeld, Studiengebühren oder diplomatische Zurückhaltung: alles falsche Signale. Ganz besonders beliebt im Moment (2014): die Rentenreform. Das falscheste aller Signale.

Beispiele seht ihr hier:

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Ungehaltene Rede zur pandemischen Heuchelei der Nation

Manchmal schaue ich als „Ungeimpfte“ mit ein wenig Wehmut nach Italien.  Ausgerechnet Italien, wo Zigtausende ihre Jobs verlieren, weil sie sich nicht gegen Corona impfen lassen wollen? Ja, ausgerechnet. Weil die Menschen dort in Massen zusammenkommen, singen, picknicken, sich den Lebensmut nicht nehmen lassen. Denn die Menschen dort kämpfen gegen etwas, was mir bisher vorenthalten wird: einen offen eingestandenen Impfzwang, der nicht der Gesundheit, sondern der Gewöhnung dient. Der Gewöhnung daran, immer und jederzeit kontrolliert werden zu dürfen und keinen Zutritt zu erhalten, wenn man die Bedingungen nicht erfüllt. Der Gewöhnung, digital erfasst und verwaltet und wie ein Verbrecher ausgeschlossen zu werden, wenn man sich dem entzieht. Der Gewöhnung an einen neuen Zynismus, der in der beleidigten Feststellung besteht, man müsse sich ja nicht impfen lassen, dann aber eben mit den Konsequenzen leben.

Konsequenzen, die so irrational sind, wie der gesamte Umgang mit der Corona-Seuche.

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Fake-News auf dem Prüfstand: Bill Gates und der Impf-Chip

Eines der Gerüchte, das sich so hartnäckig verbreitet wie das Corona-Virus selbst, lautet, Bill Gates wolle die Menschheit zwangsweise impfen und zugleich mit einem Chip ausstatten. Die Medien werden nicht müde, diese sogenannten Fake-News zu dementieren. Das Dementi, das gebetsmühlenartig erfolgt, lautet beispielsweise, dass es keine Pläne gebe, „eine mögliche Technologie zur Digitalisierung von Impfungen bei Corona einzusetzen“

Wie wir im Folgenden sehen werden, ist dies nur bedingt richtig. Man muss die Aussage nur ein wenig variieren. Denn Pläne, Impfungen zu nutzen, um Menschen weltweit mit einer digitalen Identität auszustatten, gibt es durchaus. Nur wird die zugrundeliegende Technologie eben kein Chip sein.

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Hanau und ein aus dem Netz gefallener Attentäter

Neun Unschuldige aus dem Leben gerissen. Eine tote Mutter, ein Attentäter, der sich vermutlich selbst erledigte. Die Republik im Schmerz vereint. Stummes Mitgefühl, jegliche Hilfe, die wir geben können, sollten wir für die Angehörigen, die Verletzten bereithalten. Dazu gehört auch das Eingeständnis: Wir sind hilflos, wir trauern, wir verstehen nicht. Einmal mehr hat jemand versucht, „uns“ und „euch“ zu separieren. Das lassen wir nicht zu.

Die Kamera läuft, das Wording steht

Stattdessen hastige Schuldzuweisungen und Erklärungsversuche. Die Medienmaschine setzt sich in Gang. Wie vor einigen Jahren, als die Angst vor dem islamistischen Terror groß war, müssen sofort Rückblicke geliefert, Zusammenhänge hergestellt und Ausblicke konstruiert werden. Der ewig gleiche Ablauf. Was wir wissen, wer Schuld hat, was wir tun müssen. Bisweilen entsteht der Eindruck, als stünden wir kurz vor der Machtübernahme. Es kann einem angst und bange werden.

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