Deutsche Grammatik: das Präteritum

Das Perfekt ist eine Vergangenheitsform, in der wir erzählen, was sich innerhalb eines vergangenen Zeitraumes ereignet hat. Um diese Form bilden zu können, benötigen wir das Partizip II des Verbs und die Hilfsverben haben oder sein, die im Präsens erscheinen. Denn mithilfe des Perfekts blicken wir vom heute aus in die Vergangenheit zurück und benennen, was sich ereignet oder verändert hat.

Das Präteritum bringt eine gänzlich andere Perspektive ins Spiel. Es beleuchtet die Vergangenheit nicht vom Heute aus, sondern verhält sich quasi wie eine Präsensform dazu. Daher ist das Präteritum die klassische Erzählform des Romans, der eine in sich abgeschlossene Episode erzählt, als fände sie gerade jetzt statt. Wir betrachten die Vergangenheit nicht, wir tauchen in sie ein.

Das Präteritum als Präsens der Vergangenheit

Es war ein verrückter, schwüler Sommer, der Sommer, als die Rosenbergs auf den elektrischen Stuhl kamen, und ich wußte nicht, was ich in New York sollte.“

Zwei Zeilen und wir befinden uns mittendrin in einem Geschehen, das an einem anderen Ort und zu einer anderen Zeit spielt. Nicht allein, weil Sylvia Plath ihren Roman „Die Glasglocke“ mit Bravour eröffnet. Sondern auch, weil sie, wie es sich für einen Roman gehört, das Präteritum als Erzählzeit verwendet.

Die Wirkung des Präteritums gleicht tatsächlich dem, was geschieht, wenn wir ein Buch aufschlagen und uns darin vertiefen: Wir nähern uns einem eigenen Kosmos, der in sich abgeschlossen ist. Das Präteritum ist damit letztlich das Präsens der Vergangenheit. Wir bewegen uns darin wie im Hier und Jetzt, nur anderenorts, zu einer anderen Zeit.

Die Gleichmäßigkeit und Einfachheit dieser Tempusform unterstreicht diese Deutung. Denn das Präteritum ist wie das Präsens eine Einwort-Form. Das Einzige, was du wissen musst, ist, welche Verben regelmäßig oder unregelmäßig gebildet werden und wie sich die Personalendungen verändern.

Wie bildet man das Präteritum?

Um das Präteritum bilden zu können, musst du zwischen regelmäßigen Verben und unregelmäßigen Verben unterscheiden. Regelmäßige Verben kommen ohne einen Vokalwechsel aus und erhalten auch im Präteritum ein -t zum Anlehnen, das Partizip Perfekt endet ebenfalls auf -t:

Präsens: lernen

Präteritum: lernten

Partizip Perfekt: gelernt haben

Der Unterschied in den Personalendungen zeigt sich im Präsens und Präteritum der regelmäßigen Verben folgendermaßen:

ich lern-e/lern-te                                                         wir lern-en/lern-ten

du lern-st /lern-test                                                    ihr lern-t/ihr lern-tet

er, sie, es lern-t /lern-te                                             sie, Sie lern-en/sie lern-ten

Diese Endungen verwendest du auch bei den sogenannten Mischformen. Das sind Verben, die im Präteritum einen Vokalwechsel aufweisen, aber im Partizip Perfekt auf t enden, beispielsweise:

Präsens: bringen

Präteritum: brachten

Partizip Perfekt: gebracht

Das eingeschobene „t“ wird zudem immer dann um ein „e“ erweitert, wenn die Aussprache es erforderlich macht, beispielsweise in der 2. Person Singular, wo wir statt „du lerntst“ dann eben „du lerntest“ sagen. Ist doch super geregelt, oder?

Diesen Trick, ein -e einzufügen, um die Aussprache zu erleichtern, kennst du schon vom Präsens, etwa vom Verb arbeiten. Auch hier sagen wir nicht: du arbeitst, sondern du arbeitest. Im Präteritum musst du diesen Trick bei solchen Verben dann zweimal anwenden, denn statt „du arbeitetst“ heißt es: du arbeite-test. Du schiebst also überall noch ein „te“ ein. Der klassische Doppelwumms halt, auch wenn er etwas stotternd vorgetragen wird:

ich arbei-te /arbei-te-te                              wir arbei-ten/arbei-te-ten

du arbei-test/du arbei-te-test                   ihr arbei-tet/arbei-te-tet

er/sie/es arbei-tet/ arbei-te-te                 sie/Sie arbei-ten/arbei-te-ten

Haben, sein, werden

Abweichungen gelten wieder für die Verben haben, sein und werden. Das Präteritum von haben bilden wir nicht als „habte“, sondern gleich als „hatte“ und so weiter. Das Präteritum von sein nimmt eine komplett neue Form an, nämlich war. Logisch eigentlich, wenn man davon ausgeht, dass sich das Sein im beständigen Wandel befindet. 😉

Werden nimmt entsprechend wieder eine Mittelstellung ein, denn was wird, befindet sich ja noch im Übergang. Der Vokal wandelt sich (ich werde/wurde), der Körper, der es umschlingt, erinnert aber noch an die Urform.

Präteritumsformen haben, sein, werden

ich hatte                            war                       wurde

du hattest                         warst                   wurdest

er/sie/es hatte                 war                       wurde

wir hatten                         waren                  wurden

ihr hattet                          wart                     wurdet

sie/Sie hatten                  waren                  wurden

Eine klare Regel, welche Verben regelmäßig konjugiert werden, gibt es nicht. Lediglich einige wenige Gruppen lassen sich als regelmäßig benennen, darunter

•             Verben, die auf -ieren enden (probierte, studierte).

•             Verben, die ausschließlich zum modernen Sprachschatz gehören (genderte, simste).

Das Präteritum unregelmäßiger (starker) Verben

Stärke wird im Deutschen oft mit Eigenwilligkeit konnotiert, weshalb Michael Kohlhaas so lange als eine Art Nationalheld galt. Aus dem gleichen Grund werden Verben, die ihren eigenen Regeln folgen, oft als „starke“ Verben bezeichnet. Dieser Eigenwille besteht darin, dass starke Verben einen Vokalwechsel aufweisen und im Partizip II die Endung -en erhalten, so beispielsweise:

nehmen – du nimmst, du nahmst, du hast genommen.

Sobald ein Verb in der zweiten Person Singular Präsens einen Vokalwechsel aufweist (nehmen – du nimmst, geben – du gibst), ist dies ein Zeichen dafür, dass es auch in den Tempusformen unregelmäßig gebildet wird: nehmen, nahm, hat genommen; geben, gab, hat gegeben; sehen, sah, hat gesehen.

Der Umkehrschluss lässt sich jedoch nicht ableiten. Man kann also nicht sagen, dass alle unregelmäßigen Verben einen Vokalwechsel im Präsens haben. Auch biegen (du biegst, bog/gebogen) oder bringen (du bringst, brachte/gebracht) werden unregelmäßig konjugiert.

Eingrenzen lässt sich jedoch die Art des Vokalwechsels. Zum Bestand gehören:

Ausgangsvokal Wechselvokal              Beispiele
ei, au, o, u     wird zu:i/ieleiden-litt, schreiben-schrieb, hauen-hieb, rufen-rief, stoßen-stieß
ie, e, ä, ö, ü   wird zu:ofließen-floss, heben-hob, gebären-gebar, schwören-schwor, lügen-log
i, e                   wird zu:a              singen-sang, helfen-half
mögliche Vokalwechsel im Präteritum der starken Verben

Auch die Personalendungen von starken Verben unterscheiden sich im Präteritum, nämlich folgendermaßen:

ich nahm                                                         wir nahmen

du nahmst                                                      ihr nahmt

er, sie, es nahm                                              sie/Sie nahmen

Warum gibt es im Präteritum überhaupt eine starke und eine schwache Konjugation?

Die Einteilung in starke oder schwache, regelmäßige oder unregelmäßige Verben ist zunächst eine formale. Sie folgt dem vorhandenen Formenbestand. Sie besagt also noch nichts darüber, warum sich überhaupt verschiedene Konjugationsklassen entwickelt haben. Warum sagen wir „er sprach“, aber „er redete“, „er lag“, aber „er legte“? Und warum ist es für Kinder so leicht, diese Unterschiede zu akzeptieren und (bis hin zur Übergeneralisierung) anzuwenden, während sie erwachsenen Sprachschülern Kopfweh bereitet?

Sinnvolle Grammatikregeln, das muss man sich immer wieder klarmachen, werden einer Sprache nicht von außen auferlegt, sondern versuchen eine innere Logik als Norm zu beschreiben. Diese formale Logik berücksichtigt jedoch in der Regel weder klangliche noch „gefühlte“ Regeln. Und genau darin besteht eine der größten Schwächen jeder Grammatik. Denn nichts berührt uns so sehr wie die Sprache, in der wir zu Hause sind oder heimisch zu werden versuchen. Und nichts ist so schwer zu erlernen wie die Aussprache, also der Klang, und das vermeintlich Irreguläre einer Sprache.

Würde man mir ein passendes Forschungsprojekt finanzieren, würde ich daher an genau diesen Punkten ansetzen. Denn die emotionale Bindung, die beispielsweise ein Dialekt in sich birgt, zeigt sich meines Erachtens auch in den „starken“, unregelmäßigen Verben und in ihrer Neigung zum Vokalwechsel. Es drückt sich darin nicht nur eine grammatische oder formale Qualität, sondern ganz gewiss auch eine klangliche und semantische, eine die Wortbedeutung betreffende Qualität aus.

Unter den starken Verben findet man nämlich jede Menge Ausdrücke, die zum Urbestand menschlichen Seins und Sprechens von der Welt gehören: gebären und sterben, essen, trinken, saufen, frieren, geben und nehmen, schlafen, tun, sehen und verstehen, empfinden und helfen. Darüber hinaus benennen starke Verben „starke“ Vorgänge und Handlungen: quellen und gedeihen, schmelzen und schließen, schwinden und bersten, beißen, biegen, brechen, hauen und stechen.

Auch viele Verben des Bewegens und Bleibens weisen „starke“ Formen auf: fliegen, fliehen, fallen, weichen, gleiten, kriechen, schleichen, laufen, stehen oder bleiben beispielsweise. Gleiches gilt für die Art, wie wir uns ausdrücken oder Dinge wahrnehmen: sehen und erkennen haben eine andere Qualität als schauen; riechen, stinken, befehlen, bitten, lügen, streiten, singen oder schweigen sind starke Arten, sich zu äußern oder etwas wahrzunehmen.

Diese Einteilung allein bietet jedoch noch keine ausreichende Erklärung. Manchmal verwenden wir auch Konkurrenz- und Mischformen – beispielsweise wenn wir sagen, dass sich jemand an uns wandte, während er das Auto wendete. Wir lagen im Gras oder saßen auf dem elektrischen Stuhl, legten aber das Buch zur Seite oder setzten uns aufs Sofa. Und gerade alte Formen, die einmal als stark empfunden wurden, werden heute oft bereits regelmäßig gebildet (weben – wob/webte).

Meine eigene Einteilung starker und unregelmäßiger Verben würde ungefähr 7 Kategorien ergeben. Das sähe dann so aus:

Veränderung durch Vorgang selbstStarke Sprache, Bewertung, DenkvorgängeZeitlicher Einschnitt oder DauerStarke Wirkung, häufig negativ. AssoziationBewegung oder BleibenGrund-wörterEmotionale Beteiligg., Zu-/Abwendung
       
backenbefehlenbeginnenbeißenbleibenessenbergen
berstenbietengeltenbiegenbringenfechtenempfangen
bewegenbittengeratenblasenfahrenfressenempfinden
bindendenkengeschehenbrechenfliegenfrierengeben
bratendringengleichenfangenfliehengebärenhalten
brennenempfehlenglimmengießenfließengenießenhelfen
dreschenheißenpflegenhängengehenlesenleiden
erlöschenladenscheinenhauengleitenmessenleihen
fallenlügensendenklingengreifenschlafenmeiden
findenmisslingen kneifenhebensehentragen
flechtennennen riechenklimmentrinkenverzeihen
gedeihenpfeifen ringenkommentun 
gelingenpreisen salzenkriechenwachsen 
genesenraten saufenlaufenwaschen 
gewinnenrufen saugenliegenwiegen 
grabenerschallen scheißenreiten  
lassenschelten schießenrennen  
mahlenschnauben schindenrinnen  
melkenschreiben schlagenscheiden  
nehmenschreien schlingenschieben  
quellenschweigen schmeißenschleichen  
reibenschwören erschreckenschreiten  
reißensingen speienschwimmen  
schaffensinnen stechenschwingen  
scherensprechen steckensinken  
schleifenstreiten stehlensitzen  
schleißentrügen stinkenspringen  
schließenerwägen stoßenstehen  
schmelzenweisen treffensteigen  
schneidenwerben tretenstieben  
schwellen  triefentreiben  
schwinden  verderbenweichen  
sieden  verdrießen   
spalten  vergessen   
spinnen  verlieren   
sprießen  werfen   
sterben  ziehen   
streichen  zwingen   
verlöschen      
weben      
wenden      
winden      
wringen      
Tabellarische Einteilung starker und unregelmäßiger Verben

Verben aus Spalte 1 und aus Spalte 2 könnte man auch unter einer Kategorie des „Einwirkens“ zusammenfassen, sodass sich daraus die größte Gruppe ergäbe. Daneben wären dann noch Verben der Bewegung und des Ruhens, Verben des Denkens, Sagens und Wahrnehmens sowie vereinzelt Verben der emotionalen Zu- oder Abwendung zu erwähnen.

Für das stumpfe Auswendiglernen nützt eine solche Einteilung natürlich wenig. Aber eine Sprache erlernt man eben nicht nur durch ihr Regelwerk, sondern auch durch das Eintauchen in ihre Klänge, Assoziationen, Abweichungen. Denn am Ende sind die stärksten Regeln nicht solche, die sich formal benennen lassen, sondern solche, die uns in Fleisch und Blut übergegangen sind.

Daher mein Tipp: Versuche doch einfach mal selbst, eine Einteilung zu finden, die erklärt, warum einige Verben regelmäßig und andere unregelmäßig konjugiert werden. Vielleicht gelingt es dir, eine nachvollziehbare Regel zu finden – dann wäre das auf jeden Fall nobelpreiswürdig. Und wenn nicht? Dann bleibt dir der Trost, dass du die meisten Verben jetzt nicht mehr auswendig lernen musst – weil sie sich bei deinen Versuchen, eine Systematik zu finden, bereits eingeprägt haben. Und das ist doch allemal spannender als das sture Abhaken von Vokabellisten, oder?

Im kommenden Kapitel wird es dann um das Perfekt gehen, das die Vergangenheitsform zum Präteritum bildet: das Plusquamperfekt. Ich hoffe, du bist wieder dabei. Und freue mich wie stets über Anregungen, Lob, Tadel oder Ergänzungen in den Kommentaren.

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