Alltagsmythen: Oma Courage

Es sollte wohl ein amüsantes Wortspiel sein. Oder eine an Heldenmythen gemahnende Assoziation beschwören. Herausgekommen ist ein geschmackloser Fehlgriff, eine Verhöhnung all dessen, wofür Brecht und seine Mutter Courage stehen; und nicht zuletzt ein schlecht gewobener Schwarz-Weiß-Mythos um eine stählerne Lady, die mit ernster Miene und wetterfest aufgeschlagenem Kragen den Blick gen Himmel richtet, um die Welt einmal mehr wissen zu lassen: Ich fürchte nichts und niemanden.

“Ich lass mir den Krieg von euch nicht madig machen”, muckt Mutter Courage in Brechts Theaterstück auf und wirbt dafür, die Soldaten, wenn sie denn schon in den Höllenschlund befördert werden, vorher noch ausreichend essen und trinken zu lassen und ihnen gutes Schuhwerk mitzugeben. Ich bin gespannt, wer in der modernen Dramaturgie den Refrain klatscht und dazu singt:

“Das Frühjahr kommt, wach auf, du Christ!

Der Schnee schmilzt weg, die Toten ruhn.

Und was noch nicht gestorben ist,

das macht sich auf die Socken nun!”

Aber vielleicht haben die Verantwortlichen es auch einfach nur verpasst, vorab noch mal in das Lied der Mutter Courage reinzuhören. Falls ihr das für sie nachholen wollt: Bitte hier entlang.

Anekdote am Rande: Stracks (hui, Wortspiel) bestritt Frau Zimmermann auf X, dass es überhaupt einen Zusammenhang zwischen Oma und Mutter Courage gebe. Der Bezug zum Dreißigjährigen Krieg scheint mir dagegen durchaus gegeben. Warum ich das denke, könnt ihr hier nachlesen.

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Ist Lesen gesund?

Es gibt so Fragen, die mich am Verstand derer zweifeln lassen, die sie stellen.

Ist Leben gesund? Ist Atmen gesund?

Natürlich nicht. Ebenso wenig wie das Lesen. Lesen heißt leben, heißt lieben, schauern, mitfühlen, erbeben, staunen, wissen wollen, analysieren, genervt sein, ablehnen, befürworten, den Verstand oder das Gefühl schärfen, nachhallen lassen, spotten, erleiden, in Trance verfallen, übersättigt oder leer sein, träumen oder halluzinieren …

Wenn du also keinen anderen Grund zum Lesen hast als den, gesund zu bleiben, lass es lieber. Warum, das habe ich in der folgenden kleinen Schreibübung zu erzählen versucht, die schildert, was wirklich geschieht, wenn du liest, weil du liest.

 

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Alltagsmythen: die Ziegelsteinmauer als Hintergrund fürs Polit-Marketing

Ist sie euch auch schon mal aufgefallen? Die rote Ziegelsteinmauer, die in zahlreichen Profilbildern und Videos von Marketingagenturen im Hintergrund zu sehen ist? Mir begegnet sie vor allem seit Beginn der Corona-Pandemie. Vielleicht ist das Zufall, vielleicht war sie auch zuvor schon oft zu sehen und ist mir bis dahin gar nicht aufgefallen, weil ich mit Menschen, die in Marketingagenturen vor einer roten Ziegelsteinmauer posieren, nur wenig Berührungspunkte habe.

Tatsächlich ist die rote Backsteinmauer aber eben nicht nur Hintergrund, sondern bildet die eigentliche Botschaft ab. Welche das sein könnte und was Experten diesbezüglich raten könnten, darüber habe ich mir ein paar Gedanken gemacht. Natürlich auf streng wissenschaftlicher Basis.

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Mythos Faktencheck

In meinem Beitrag „Verschwörer sind immer die anderen“ habe ich skizziert, wie Alltagsmythen funktionieren. Der von Roland Barthes entliehene Begriff „Alltagsmythen“ umfasst, was wir heute auch als „Narrative“ oder „Verschwörungsmythen“ bezeichnen. Nicht der Inhalt, sondern die Inszenierung ist Kennzeichen einer solchen „mythischen Sprechweise“. Dazu gehört, dass eine Botschaft vermittelt werden soll, die über den tatsächlichen Kern des Textes (oder der medialen Aufbereitung) hinausgeht.

In diesem Beitrag möchte ich die Behauptung, dass auch und gerade sogenannte Faktenchecks leider häufig einer mythischen Inszenierung gleichen, exemplarisch an einem „Faktenfuchs“ (BR) zur Wirksamkeit von Covid-Impfstoffen veranschaulichen.

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Verschwörer sind immer die anderen

Über den Sinn mythischer Sprechweisen und den Unsinn, sie faktisch widerlegen zu wollen

Alle reden über Verschwörungsmythen, aber natürlich sind es immer die anderen, die sie verbreiten. Doch was ist eigentlich ein Mythos? Schon in den 1950er Jahren befasste sich mit dieser Frage der französische Literaturwissenschaftler Roland Barthes und kam zu dem banal anmutenden Ergebnis, dass der Mythos eine Aussage sei. Eine Aussage allerdings, die sich stets in der Schwebe befindet, die sich weder am sprachlichen (oder bildlichen) Zeichen festmachen lässt, noch im Inhalt aufgeht oder in dem, worauf sie deutet.

Was haben uns Barthes Texte für die heutige Mythenbildung noch zu sagen? Und warum betreffen seine Thesen nicht etwa nur die “Ungebildeten” oder “Verschwörungserzähler”, sondern auch die professionellen Vermittler von Wirklichkeit und Wissenschaft?

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Darüber darf man ja eh nicht reden oder: Wahrheiten erfinden und verbreiten für Anfänger

So testest du, ob du im Besitz der Wahrheit bist

Die Lüge ummantelt sich gern mit zerfaserten und zerfaselten Wahrheiten. Davon leben gegenwärtig zahlreiche wilde Spekulationen, in denen sich jeder lang und breit zu allem und jedem äußert. Um dann zu bedauern, dass man in diesem Lande die Wahrheit ja eh nicht mehr sagen dürfe.

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