Pfingsten als Wunder des Hörens

Pfingsten das liebliche Fest ist gekommen – und mit ihm für viele die Frage: Wieso konnten die Apostel plötzlich in “Zungen” sprechen, also in vielen unterschiedlichen Sprachen, die sie nie gelernt hatten?

Häufig fällt in diesem Zusammenhang der Begriff “Glossolalie”, worunter man das Sprechen in Ekstase versteht. Weniger bekannt scheint dagegen, dass das Pfingstwunder in erster Linie mal ein Wunder des Hörens war. In “Literalisierung, Verschriftlichung und Sprachreform in Grimmelshausens Roman ‘Simplicissimus Teutsch‘” habe ich dem Phänomen einen Exkurs gewidmet – im Folgenden könnt ihr einen kleinen Auszug daraus lesen.

Frohe Pfingsten!

Exkurs: Der Teutsche Michel als Satire über Sprachverderber und falsche Gelehrsamkeit

In der Streitschrift „Deß Weltberuffenen SIMPLICISSIMI Pralerey und Gepräng mit seinem Teutschen Michel“ (im Folgenden kurz: Teutscher Michel), befasst sich Grimmelshausen mit verschiedenen Arten von „Sprachhelden“ und „Sprachverderbern“ unter seinen Zeitgenossen.

Die Schrift wird eingeleitet von einem Lob der Sprachkundigen, darauf folgt die Unterscheidung zwischen bloßem Nachplappern, zu dem auch einige Vogelarten fähig seien, und vernünftiger Rede. Grimmelshausens Tadel richtet sich sodann an

1. Gelehrte, die das Fremdsprachenstudium für eine unabdingbare Voraussetzung von Erkenntnis im Allgemeinen und Gotteserkenntnis im Besonderen halten.

2. Leute, die sich den Anschein der Gelehrsamkeit geben – durch exzessiven Fremdwörtergebrauch oder Alamode-Gebaren.

3. Gelehrte, die das Deutsche durch Erfindung neuer Wörter und Orthographien verderben, gleich den „Alchimisten“ daraus eine neue Mixtur herstellen wollen.

4. Leute, die Fremdwörter und Namen eindeutschen wollen.

5. Leute, die die Aussprache der Mundarten an der Schreibweise ausrichten wollen, wie auch an Leute, die die eigene Mundart über alle anderen stellen und auf diese Weise einen Wortkrieg anzetteln.

Diesen Personenkreisen stellt Grimmelshausen den „wirklichen“ Gelehrten gegenüber, der ähnlich wie die Apostel die Kunst beherrscht, in Zungen zu reden. Eine Fremdsprache kennen heißt für diesen Gelehrten an erster Stelle, sie verstehen und sprechen und erst an letzter Stelle, sie schreiben zu können.

Der Bezeichnung „Fremdsprache“ stellt Grimmelshausen die Begriffe „Muttersprache“ und „das Teutsche“ gegenüber. Unter einer Muttersprache versteht er die jeweilige Mundart, die ein Mensch „mit der Muttermilch“ aufgenommen hat. Demzufolge gibt es „beynahe kein Dorff geschweige eine Stadt so mit der andern gleiche Aussprach hat“.[1]

Das „Teutsche“ ist ebenso wenig eine Einheitssprache, der Begriff wird als Sammelbezeichnung für alle deutschen Muttersprachen in Abgrenzung zur Schriftsprache gebraucht. Sowohl die Muttersprache als auch das Deutsche sind demnach keine Gelehrtensprachen, sondern Mundarten, die ihre Kraft und Lebendigkeit nur dort entfalten können, wo sie gehört und gesprochen werden. Diese Mundarten lassen sich zwar schriftlich aufzeichnen, dabei soll sich aber die Schrift der Mundart, nicht die Mundart der Schrift beugen.

Das Lesen ist für Grimmelshausen entsprechend ein Akt, durch den die Worte zum Klingen gebracht werden. Ein verständiger Mann ist ihm zufolge einer, der „sein gesundes Gehör noch hat“, der die Verunglimpfung der Sprache durch Reformatoren verurteilt, weil das Resultat für ihn nicht mehr aussprechbar ist.

Auch das „Zungenreden“, das Grimmelshausen zufolge den Gelehrten auszeichnet, ist ein Wunder des Hörens, nicht eines der Überwindung von Sprachgrenzen. In der Apostelgeschichte heißt es:

Und es erschienen ihnen [den Aposteln] Zungen, zerteilt, wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeglichen unter ihnen und sie fingen an zu predigen in andern Zungen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.“[2]

Bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts wurde dieses Pfingstwunder als ein Gnadenakt des Hörens verstanden; denn das Besondere lag in dem, was sich nach der Herabkunft des Heiligen Geistes ereignete:

Da nun diese Stimme geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? Wie hören wir denn ein jeglicher seine Sprache, darin wir geboren sind?“[3]

Was die entsetzten Juden, Griechen, Asier, Ägypter, Römer und Araber von den Aposteln hörten, waren keine Übersetzungen in ihre Landessprachen. Der Heilige Geist hatte nicht die Apostel befähigt, in fremden Zungen zu sprechen, sondern er hatte das Wunder bewirkt, dass die Worte, die aus ihren Mündern kamen, von den Zuhörenden ohne Übersetzung verstanden werden konnten.

1559 jedoch erfuhr diese Interpretation des Pfingstwunders eine entscheidende Umdeutung. Der sächsische Lutheraner Dolscius äußerte sich in seiner Einleitung zur griechischen Übersetzung der Confessio Augustana „über die Bedeutung der Pflege der Heiligen Sprachen für die Theologie und der Erkenntnis der reinen Lehre“, indem er das Pfingstwunder als einzigartiges Ereignis darstellte, das nur durch eine humanistische Bildung fortgesetzt und bewahrt werden könne.[4]

Nur der kann wahrhaft das göttliche Wort verkündigen, der die Sprachen beherrscht, in denen die heiligen Schriften geschrieben sind. Der sprachlich ungebildete, der nur auf Übersetzungen der heiligen Schriften angewiesen ist, wird sich selbst und seine Hörer nur ‚in eine mehr als kimmerische Finsternis einhüllen‘“.[5]

Nicht der Geist Gottes ist es dieser Auslegung zufolge also, der den Apostel befähigt, in Zungen zu reden, sondern Apostel im Sinne eines Wahrheitsverkünders kann nurmehr der Gelehrte sein, der esoterisches Wissen besitzt. Lässig gesprochen könnte man auch sagen: Das erzählerische Prinzip des „Show, don‘t tell“, dessen der Heilige Geist sich bis dahin bedient hatte, weicht nun seiner Umkehrung.

Benz zufolge kommt in dieser Auslegung ein völliger Bruch mit der Tradition zum Ausdruck, die allen christlichen Konfessionen bis dahin gemeinsam war. Ein Bekenntnis zum Pfingstwunder als einem Wunder des Hörens gleicht daher zu späteren Zeiten einer Anknüpfung an die Tradition der Urkirche.

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[1] „[…] daß ihr alsbald das Wort TEUTSCH nicht mehr recht/ wie es gesprochen wird/ werdet schreiben können; Ihr mögt es aber gestehen oder nicht/ so wird doch ein jeder Verständiger/ der sein gesundes Gehör noch hat/ wann er slagen vor schlagen oder Slagt vor Schlacht lesen und aussprechen höret/ urtheilen/ es lauthe/ als wann ein Kind lallet/ dem die Zunge nicht recht gelöset worden!“ (ebenda, Seite 23)

[2] I Apost. 2,3

[3] I Apost. 2,6-8

[4] BENZ: 1938, Seite 29

[5] ebenda, Seite 31

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