Wie der Tod ins Leben kam

ÜBER DAS STERBEN UND DIE INEXISTENZ DES TODES

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Über dieses Buch

Wann immer wir vom Sterben sprechen, überschattet der Tod unsere Wahrnehmung. Doch solange wir sterben, leben wir: atmen, schmecken, hören, schauen, halten fest oder lassen los, schwinden dahin. Was veränderte sich, würden wir Sterben und Todesnähe als Lebenserfahrung denken?

In „Wie der Tod ins Leben kam“ beschreibt die Autorin, wie die Erwartung eines vorplatzierten Todes unser Denken und Wahrnehmen manipuliert; bis hin zu der Tatsache, dass wir gelernt haben, einen Tod zu sehen, dem wir schon begegnen können, bevor wir überhaupt gestorben sind.

Was wir von Sterbenden und „Nahtoten“ lernen können, ist, dass der Tod nur einer Idee gleicht, einer Leerstelle ohne eigene Existenz. Und dass wir das Sterben als eine Bringschuld an das Leben betrachten sollten, ohne dieses Leben von der Seite des Todes her zu definieren. Denn die Gefahr ist groß, dass wir erneut eine Kultur des Todes etablieren, in der der Tod das Leben nicht mehr nur überschattet, sondern vorgibt, selbst das bessere Leben zu sein.  

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Einleitung

„Und meine Schmerzen? fragte er sich. Was wird aus ihnen werden? Sind sie überhaupt noch da? Er betastete seinen Leib. Ja, da stecken sie noch. Nun mögen sie bleiben. […] Und der Tod? Wie ist es mit dem?

Er entsann sich seiner bisherigen ständigen Angst vor dem Tode und empfand jetzt nichts mehr davon. Was bedeutet der Tod? Das Gespenst des Todes war verschwunden, weil es keinen Tod mehr für ihn gab. An die Stelle des Todes war das Licht getreten. ‚Also so ist es!‘ sagte er plötzlich laut vor sich hin. ‚Welche Freude!‘“[1]

Stellen Sie sich vor, Sie fallen ins Koma und während die Ärzte versuchen, Ihr Leben zu retten, schweben Sie durchs Jenseits, begegnen Lichtgestalten und Verstorbenen. Nach einigen Stunden oder Tagen kehren Sie in Ihren Körper zurück und Ihr Herz beginnt wieder im gewohnten Rhythmus zu schlagen. Waren Sie tot? Oder sind Sie zumindest ein ganz klein wenig gestorben?

Weder noch. Sie haben eine Erfahrung der Außerleiblichkeit gemacht, wie sie seit vielen Jahrhunderten in der Literatur beschrieben wird. Nicht dem Tod waren Sie nah, sondern dem Leben in seiner ganzen Dimension. Und nur das hatten Sie mit einem Sterbenden gemeinsam. Denn im Unterschied zu jenem leben Sie ja weiter.

Wenn aber eine Nahtoderfahrung mit der Rückkehr ins Leben endet, warum koppeln wir sie dann gedanklich an den Tod? Warum betrachten wir „das Licht am Ende des Tunnels“ als Leuchte ins Jenseits und nicht als das, was es offensichtlich ist: Teil des Heilungsprozesses?

Vielleicht, weil wir seit Hunderten von Jahren die falschen Fragen stellen und die falschen Schlüsse ziehen. Weil wir das Leben und das Sterben von der Seite des Todes her betrachten. Und weil wir uns immer wieder genötigt sehen, uns mit einem Tod zu befassen, der sich vor dieses Sterben geschoben hat. Denn am Ende aller Tage begegnen wir nicht unserem Tod, wir sterben, bis wir gelebt haben.

In diesem Buch schildere ich anhand literarischer Quellen aus unterschiedlichen Epochen Sterben, „wie es sein soll“: als die letzte intensive Erfahrung des Lebens. Ich lade Sie ein, mit mir auf eine Zeitreise zu gehen, auf der wir den Geschichten von Sterbenden und Für-tot-Gefallenen, Nah- und Scheintoten, Wiederaufgestandenen und Untoten lauschen und uns mit den Stimmen und Zeichensetzungen derer vertraut machen, die uns davon berichten.

In insgesamt neun Kapiteln zeichne ich das Verhältnis von Sterben und Tod in der (überwiegend) deutschsprachigen Literatur nach: Wo beginnt und wo endet das Sterben? Was erleben Sterbende? Wohin gehören Erfahrungen, die Sterbende und Scheintote machen – auf die Seite des Lebens oder auf die Seite des Todes? Im Laufe dieser Reise werden wir entdecken, dass sich Sterben und Tod einzeln betrachtet kaum verändert haben. Was sich verändert hat, ist das Verhältnis, in dem sie zueinander stehen. Denn zur Zeit des „großen Sterbens“, im Übergang zur Neuzeit, setzt sich eine ungeheuerliche Verschiebung im Hinblick auf ihr zeitliches Erscheinen durch: Erst kommt der Tod und dann das Sterben. Der Tod tanzt nun mitten ins Leben hinein, beendet nicht das Sterben, sondern geht ihm voraus und infiziert alles, was mit Krankheit, Wahn, Irrationalität, Magie aber auch mit Lebensfreude in Zusammenhang stehen könnte, mit dem Verdacht, Verursacher seiner selbst zu sein.

Ein wichtiger Auslöser für diese Umplatzierung des Todes war die Pest, die die bis dahin gültigen Sterberituale verdrängte und es erforderlich machte, Sterbende beziehungsweise Erkrankte schon früh zu identifizieren. Doch die Pest ging vorbei, der personifizierte Tod blieb und breitete sich über den Buchdruck, über Pest- und Gesundheitstraktate, Totentanzbilder und schließlich den „Hexenhammer“ bis in die hintersten Winkel der privaten Stuben und Studierzimmer aus. Und mit ihm kehrte die Angst, aber auch das unbestimmte Gefühl ein, dass ein solcher Tod nicht das Ende aller Tage markieren konnte. Dass ihm das Sterben abhandengekommen war.

Folgerichtig kam es auch in der Lehre von den letzten Dingen, der christlichen Eschatologie, zu einer Neubestimmung, die einräumte, dass mit dem Tod noch nicht alles vorbei sei. Gleichzeitig versuchte man nun, das Sterben als „Kunst“ neu zu lehren. Der Platztausch aber, den Tod und Sterben vollzogen hatten, blieb davon unberührt und vermutlich auch weitgehend unbemerkt.

Der Angst vor einem grässlichen Schnitter oder Skelett, das das Leben beendet, bevor ein Mensch gestorben ist, versuchten Luther und später Lessing einen Tod entgegenzusetzen, den sie als sanften Bruder des Schlafes darstellten. Zwar erhob die Altertumswissenschaft sofort Einspruch gegen Lessings schläfrigen Genius, doch änderte die Frage, ob der Tod ein Skelett oder ein zarter Jüngling sei, nichts an dem Umstand, dass die Gestalt sich vor das Sterben geschoben hatte.

 Ihren Höhepunkt erreichte diese irrige Annahme in der deutschen Romantik, die das Leben von der Seite des Todes her beschreibt. Die Liebe trägt nun Früchte im Tod, Kranke gehören bereits ins Jenseits und der Vorgang des Erzählens selbst führt mittenmang hinein ins Geisterreich der Dichtung. Leben und Tod, so scheint es, sind ununterscheidbar geworden. Ein Umstand, an dem selbst Goethe nichts ändern konnte, so wacker er auch versuchte, die verwässerten Motive wieder ins Trockene zu bringen.

Auf die wachsende Verunsicherung folgte schließlich eine Phase, in der die Sehnsucht nach Gewissheit und der Wunsch, sich von allem Kranken und Sterbenden zu befreien, an Vorherrschaft gewann. Ihren vorläufigen Abschluss findet diese Phase in den heraufziehenden Weltkriegen und im Totalitarismus mit all seiner Verherrlichung von Tod und Barbarei. Und an genau dieser Stelle beende ich meine Studie. Denn wo Menschen zerbombt, zerschossen und vergast werden, gibt es über das Sterben nichts mehr zu erzählen. 

Da ich mich in meinen Ausführungen überwiegend auf literarische Texte beziehe, muss natürlich auch der Schreibprozess selbst thematisiert werden. Zum einen, um die Rolle des Fiktiven bei der Eingrenzung des Sterbens zu beleuchten; zum anderen, weil sich spannende Parallelen aufzeigen lassen zwischen einem literarisch fingierten Sterben, das zu den intensivsten Erfahrungen des Lebens zählt, und dem künstlerischen Schaffensprozess selbst, der diese Intensität spiegelt.

Was Dichtung vom Sterben erzählen kann, endet an jener imaginären Grenze, an der wir das Bewusstsein für unsere eigene Sterblichkeit verlieren: im Verwesen des Leibes. Diesen Tod bereits im Nahtod entdecken zu wollen oder ihn auf die „Unumkehrbarkeit“ des Sterbeprozesses vorzuverlegen, bedeutet, das Sterben selbst als Bringschuld allem Leben gegenüber zu negieren. Denn letztlich wissen wir nicht, ob und was von diesem Bewusstsein bleibt. Ob der Geist noch lange über dem Wasser schwebt. Oder ob er mit dem Leib in Moder und Fäulnis übergeht und den Würmern zum Fraß dient.

 Was wir wissen könnten, ist jedoch: Solange wir sterben, leben wir. Und vielleicht ist genau jener „unfaßbare Augenblick, in dem wir vom Leben zum Tod übergehen, unsere arme Ewigkeit.“[2]

INHALT

Einleitung          

1 Vom Sterben erzählen: Sterben, wie es sein soll         

Zeichensetzung: der Beginn des Sterbens/ Die Vorausdeutung des Todes/ Sterben als Lebenserfahrung: die eigentümliche Sensibilisierung des Sterbenden/ Der letzte Augenblick: schauen mit dem ganzen Leib/ Hören mit dem ganzen Leib: von fernen Klängen und stummen Dialogen/ Ein letztes Mal atmen/ Sterben als letzter Moment der Bekräftigung/ Reziprozität der Mit-Teilung: Sterben als Überwindung der Entzweiung/ Sterben als Gewalterfahrung      

2. Im Geisterreich der Dichtung              

Die Stimmen der Abwesenden hören/ Der geistige Akt des Grenzgängers/ Grenzerfahrung: schreiben, das(s) was ist/ Stopfkuchen oder: Das Einfache ist das Außergewöhnliche/ Sich selbst ein Traum bleiben: Dichtung als überwältigender Grenzgang/ Den Wolf umarmen: Aufgaben des literarischen Grenzgängers

3. Brunnen im Licht       

Sterben und Todesnähe in der christlichen Literatur des frühen Mittelalters/ Heilung im Licht einer anderen Wahrheit/ Visionen, Auditionen und Traumerleben: Impulse für den Heilungsprozess/ Wann ist der Mensch tot?/ Geschichten vom Aufstehen und Wiederaufstehen vermeintlich Verstorbener/ Die Auferstehung als Überwindung der Todeserwartung/ Der Auftrag des Visionärs: durch das Erzählen Gutes bewirken

4. Sterben und Grenzerfahrung in der nordischen Heldenerzählung      

Sterben Helden gern und willig?/ Sterben als roher Akt der Gewalt/ Tugend siegt über Lebensverachtung/ Nicht der Held stirbt im Kampf, sondern der Veige/ Traumgesichte und Auditionen als Unheil verkündende Botschaft/ Austritt aus der Zeit: der geistige Raum der Überlieferung/ Wichtige Gemeinsamkeiten und Unterschiede von christlicher und heidnischer Vorstellungswelt      

5.  Daheim in „Ägypten“: die Vereinigung christlicher und „germanischer“ Vorstellungswelt              

Ruodlieb: Was einen Anfang hat, wird eines Endes nicht entbehren/ Memento mori: vom Gedenken der Sterblichkeit zur Mahnrede des Todes/„Machen wir die Seele frei“: tödliche Entfesselung auf dem Weg zu Gott

6. „Sterben ohne Tod“: vom Raum des Tumben zur tumben Raum-Zeit-Erfahrung         

Höfische Epik: Fiktionalität als Selbstbegrenzung/ Grundkonflikt: Die Wiedereingrenzung der entfesselten Seelenkraft/ Munsalvaesche oder der Raum der Tumben/ „Sterben ohne Tod“ als Erfahrung von Gottesnähe in  Mystik und Vision/ Von der geistigen Vision zur Halluzination     

7. Die neue Zeit oder: Wie der Tod ins Leben kam

Die Pest als Zernichterin gemeinschaftlicher Rituale/ Vom Krankenbett ins Wochenbett: der Tod als menschliche Bringschuld/ Die Sichtbarmachung des erwarteten Todes in den Totentanz-Büchern/ Der Tod als vermeidbare Ursache und Folge eines sündigen Lebens/ Vergleich und Analogie als Erkenntnismittel und psychisches Bedürfnis/ Die Ars moriendi als Zäsur zum Memento mori/ Eschatologie der Ausdehnung/ Vom lebendigen Visionär zum toten Wiederkehrer: die Entstehung der Nahtoderfahrung im 17. Jahrhundert

8. Totgesagte leben länger: Leben in der Gewissheit eines seligen Todes            

Lessings verhängnisvolle Ästhetik/ Die deutsche Romantik: Der Künstler als Priester des Todes/ Inmitten des Lebens dem Tode verfallen/ Vereint in tödlicher Liebe/ Grenzerfahrung: Krankheit als fixiertes Sterben/ Das Hereinragen der Geisterwelt in die unsere/ Johann Wolfgang von Goethe: Die (De-)Konstruktion des Langzeitsterbenden/ Werther: der empfindsame Langzeitsterbende/ Die Wahlverwandtschaften: Tod und Sterben als chemische Wechselbälger/ Versuch der Rekonstruktion: Sterben als letzte Erfahrung des Lebens 

9. Der Angst entkommen: vom erwarteten zum diagnostizierten Tod   

E. T. A. Hoffmann: die Wirklichkeit aus Sicht des toten Automaten/ Traum oder Wahrheit? Droste-Hülshoff und des Arztes Vermächtnis/ Der medizinisch vorhersehbare Tod: Sehnsucht nach Gewissheit/ Sich selbst als Sterbenden betrachten/ Der Weg ins Freie: Wirklichkeit im toten Schein/ Thomas Manns leere Seite: Der Tod in Venedig/ „Er war gar nicht tot, er kam ja gleich heim“: Die Teilung der Wirklichkeit als Element totalitärer Herrschaft

Schlussbemerkung

Literaturverzeichnis       

170 Seiten

Format: Taschenbuch

ISBN: 9783758409707

Preis: € 14,90 als Taschenbuch

€ 9,90 als E-Book

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[1] L. Tolstoi: Der Tod des Iwan Iljitsch

[2] A. Schnitzler: Abschied (1896). In: Sterben und andere Erzählungen