Leseempfehlung: Wie AI die Demokratie unterwandert

– und was sich dagegen tun lässt. Von Mark Coeckelbergh

In welchem Verhältnis stehen künstliche Intelligenz (KI, englisch: artificial intelligence, kurz AI) und Demokratie zueinander? Kann eine Technologie, die von wenigen Techkonzernen entwickelt wird, demokratischen Prinzipien entsprechen? Wer entscheidet, in welche Richtung deren Entwicklung gehen soll? Deutet sich gegenwärtig nicht bereits an, dass AI vor allem ein hervorragendes Mittel zur Manipulation und Desinformation ist? Untergräbt AI die Grundlagen und Werte unserer Demokratie?

In „Why AI undermines Democracy and what to do about it” verspricht der aus Belgien stammende Technikphilosoph Mark Coeckelbergh Antworten auf diese und weitere Fragen. Warum ich das Buch empfehle, obwohl ich es mit großer Skepsis gelesen habe, erzähle ich im folgenden Beitrag.

Ausgangspunkt: Skepsis

Mit einer großen Portion Skepsis beginnen auch Coeckelberghs eigene Ausführungen über den Nutzen und die Risiken von AI für die Demokratie. Denn so, wie sich die Technologie aktuell entwickelt, scheint sie allenfalls einem wachsenden Autoritarismus zu dienen; wird sie verwendet, um Menschen zu manipulieren, zu überwachen und zu polarisieren.

Für Coeckelbergh schließt sich allerdings die Frage an, ob es sich zwangsläufig so verhalten muss oder ob es nicht doch möglich sein könnte, eine „demokratische AI“ zu entwickeln.

Kann eine Technologie überhaupt demokratisch oder autoritär sein?

Dass eine Technologie „demokratisch“ oder „autoritär“ sein kann, scheint zunächst erklärungsbedürftig. Denn in der Regel neigen wir dazu, Technologien als Mittel zu einem Zweck zu betrachten, der vom Nutzer abhängt, also nicht der Technologie selbst inhärent ist. AI müsste daher im selben Maße demokratisch oder autoritär sein, wie die Person oder die Gesellschaft, die sie einsetzt.

Doch ganz so einfach ist es nicht. Denn eine Demokratie basiert nicht allein auf freien Wahlen, wie Coeckelbergh ausführt, sondern umfasst zahlreiche Aspekte wie Partizipation, Bildung, die Fähigkeit zur Reflexion und Kommunikation sowie zur Wahrnehmung und Einbindung unterschiedlicher Betrachtungsweisen. Was demokratische Spielregeln sind und was nicht, lässt sich daher nicht eindeutig definieren. Bevor sich AI als Technologie nutzen lässt, die der Demokratie dient, muss sich daher unser Demokratieverständnis selbst erweitern.

Komplexe Technologien wie KI sind ebenfalls nicht eindimensional auf einen Zweck zu begrenzen, erweisen sich nicht allein als ein Instrument zur Bewältigung der Realität. Technologien haben einen sozialen, ökonomischen und kulturellen Impact, erschaffen neue Wahrnehmungsweisen und Realitäten, dienen als Metaphern wie als Strukturelemente und verändern uns in unserem öffentlichen wie privaten Miteinander.

[Man betrachte hierzu nur, wie die bisher genutzten digitalen Technologien unser Miteinander im Kleinen wie im Großen bereits verändert haben. Auch der Übergang von der oralen zur schriftgebundenen Gesellschaft kann hier hervorragendes Anschauungsmaterial liefern.]

So wie eine Waffe es uns ermöglicht, zu töten, obwohl sie selbst keine solchen Absichten hegt, so eröffnet uns auch KI eine Vielzahl an Möglichkeiten, Dinge zu tun, die bis dato undenkbar waren. Es braucht daher eine gemeinsame Verständigung darauf, was uns als rechtmäßig erscheint und was nicht. Darin besteht der demokratische Prozess. Und dieser demokratische Prozess, so Coeckelbergh, muss von Beginn an in die Entwicklung von AI einfließen.

Um also wirklich demokratischen Gebrauch von AI machen zu können, ist es Coeckelbergh zufolge erforderlich, dass nicht nur die Zielsetzungen, sondern die Entwicklung von AI selbst von Beginn an demokratisch und unter Beteiligung aller mündigen Bürger erfolgt. Gleichzeitig müssen wir als Bürger unsere Fähigkeit zur Demokratie hinterfragen und neu einüben, wozu es erforderlich wäre, neue Institutionen zu schaffen, die an der Entwicklung und Regulierung von AI zu demokratischen Zwecken beteiligt sind.

Diese Hauptaussagen leitet Coeckelbergh natürlich viel differenzierter her, als ich sie hier wiedergebe. Dabei schlägt er einen großen Bogen durch die Philosophiegeschichte bis hin zu modernen Autoren und Wissenschaftlern und wird geleitet von der Hoffnung, dass AI uns eine Art neue Renaissance eröffnen könnte.

Warum und wem ich das Buch empfehle

Ich bin keine Technikphilosophin, hatte aber das Glück, in den 1990ern an Vorlesungen und Gesprächen mit dem amerikanischen Technikphilosophen Carl Mitcham teilnehmen zu dürfen. Was mir damals wirklich neu schien, war, dass Mitcham und weitere Beteiligte versuchten, den Blick nicht allein darauf zu lenken, wie wir mithilfe von Technologien unsere Umwelt verändern. Stattdessen lud er ein, auch darauf zu blicken, wie Technologien unsere Wahrnehmung von uns selbst und von dem, was wir gemeinhin Wirklichkeit nennen, verändern. Denn, so ist mir die Quintessenz seines Denkens in Erinnerung, nicht nur unser Handeln hat Konsequenzen, auch “things have consequences”.

Coeckelbergh weiß natürlich um diese weitreichenden Konsequenzen, die AI als Technologie mit sich bringt, und darum, dass ihre Entwicklung nicht allein unser Demokratieverständnis verändern wird. Er greift gelegentlich auch auf diesen Teil der Debatte zurück – hält aber fest an dem Versuch, zu einer optimistischen Sichtweise im Umgang mit einer Entwicklung zu gelangen, die sich ohnehin nicht mehr aufhalten lässt.

Doch selbst, wenn ich akzeptiere, dass das Buch eine Art „realpolitischen“ Ansatz verfolgt, fehlen mir darin die konkreten Beispiele und Belege dafür, wie es gelingen kann, AI zum Mittel einer neuen Demokratiebewegung oder gar einer blühenden Renaissance zu machen.

Ich empfehle das Buch dennoch, weil ich große Sympathie für die Haltung des Philosophen habe, der trotz eigener Skepsis einen Weg sucht, das Schlimmste zu verhindern und das Beste möglich zu machen. Zielgruppe dürften in erster Linie politische Akteure sein, die sich einen grundlegenden Eindruck verschaffen wollen, wie weit AI in den politischen, aber auch in den privaten Raum hineingreift, und die schon heute pragmatische Antworten auf die drängendsten und offensichtlichsten Probleme finden müssen.

Bibliografische Angaben

Coeckelbergh, Mark: Why AI Undermines Democracy and What To Do About It

‎ Polity; 1. Edition (1. März 2024)

 ISBN-10 ‏ : ‎ 1509560939

 ISBN-13 ‏ : ‎ 978-1509560936

Verkaufspreis der Taschenbuchausgabe: € 18,99

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