Mythos Faktencheck

In meinem Beitrag „Verschwörer sind immer die anderen“ habe ich skizziert, wie Alltagsmythen funktionieren. Der von Roland Barthes entliehene Begriff „Alltagsmythen“ umfasst, was wir heute auch als „Narrative“ oder „Verschwörungsmythen“ bezeichnen. Nicht der Inhalt, sondern die Inszenierung ist Kennzeichen einer solchen „mythischen Sprechweise“. Dazu gehört, dass eine Botschaft vermittelt werden soll, die über den tatsächlichen Kern des Textes (oder der medialen Aufbereitung) hinausgeht.

In diesem Beitrag möchte ich die Behauptung, dass auch und gerade sogenannte Faktenchecks leider häufig einer mythischen Inszenierung gleichen, exemplarisch an einem „Faktenfuchs“ (BR) zur Wirksamkeit von Covid-Impfstoffen veranschaulichen.

Ausgangspunkt des Faktenchecks: hohe Sterblichkeit trotz Impfung

Ausgangspunkt für den Beitrag des Faktenfuchses war eine verblüffende Statistik bzw. die Reaktion darauf: 2021, so vermeldete Destatis, seien rund 80 % mehr Menschen an Covid-19 gestorben als im Jahr zuvor. Für viele Menschen lag daher die Frage auf der Hand, wie es sein könne, dass trotz Impfung deutlich mehr Menschen an Covid verstorben sind. Einige schlossen daraus auf die Unwirksamkeit der Impfstoffe.

Der Faktenfuchs formulierte daraufhin die Zielsetzung, nachzuweisen, dass die erhöhten Sterbefallzahlen 2021 die Wirksamkeit der Impfstoffe nicht widerlegen und dass die Impfstoffskeptiker stattdessen einem „statistischen Denkfehler“ aufsitzen.

Für eine solch niedrigschwellige Zielsetzung wäre allerdings überhaupt kein Faktencheck notwendig gewesen. Denn wer immer sich schon mal mit den Nebenwirkungen von Impfstoffen befasst hat, kennt die eine, stets gleich lautende Aussage: „Ein Zusammenhang ist nicht nachweisbar.“

Logischerweise, denn es gilt: Stellt man über eine Statistik eine zeitliche Korrelation zwischen zwei Variablen fest, lässt dies noch nicht den Schluss auf einen kausalen Zusammenhang zu. Allerdings kann eine zeitliche Korrelation einen Hinweis auf einen kausalen Zusammenhang geben.

Den vorschnellen Schluss, dass die veröffentlichte Statistik die Wirksamkeit der Impfstoffe widerlege, hätte man also ganz einfach zurückweisen können. In einem zweiten Schritt hätte dann geprüft werden müssen, ob tatsächlich mehr als ein zeitlicher Zusammenhang besteht oder nicht. Doch an genau diesem Punkt versagt der Faktenfuchs, da er schon die Möglichkeit, dass ein solcher Zusammenhang existiert, in den Bereich von Nonsens-Korrelationen und Unstatistiken verweist.

Entsprechend wird der behauptete Zusammenhang in der Folge nicht widerlegt, sondern es werden ihm andere mögliche Erklärungen für die hohe Sterberate zur Seite gestellt. Mit dem vernichtenden (aber erwartbaren) Ergebnis, dass auch diese letztlich nicht als wirkursächlich beweisbar sind.

Im Klartext heißt das: Die eine schlüssige Erklärung für die hohe Sterbezahl trotz Impfungen gibt es nicht. Das Nachlassen der Wirksamkeit ist dafür ebenso ein Grund, wie es andere Faktoren sind. Auch das wäre bereits ein nachvollziehbares Resultat gewesen.

Weil aber nicht sein kann, was nicht sein darf, werden die Ergebnisse der Expertenbefragungen dann leicht angepasst. Man behauptet, die Unwirksamkeit der Impfungen lasse sich aus den Zahlen nicht ablesen, die Wirksamkeit „nicht direkt“ (also indirekt schon). Auf die Aussage, dass ein Zusammenhang nicht nachweisbar sei, folgen Überschriften, denen zufolge auch Studien oder Daten die Wirksamkeit der Impfung belegen.

Statt der Destatis-Statistik werden Daten aus Bayern und Österreich herangezogen. Und als Hauptargument für die Wirksamkeit der Impfstoffe werden die Studien der Hersteller selbst zitiert, die von einer 90%igen Wirksamkeit sprechen. Absurderweise allerdings ohne den Hinweis, dass auch diese 90%ige Wirksamkeit bereits Thema einer viel diskutierten „Unstatistik des Monats“ war. Und ohne den Fakt, dass eben das Nachlassen dieser Wirksamkeit im Realitätscheck längst belegt wurde – übrigens auch vom BR selbst.

Der Faktencheck als mythische Aussageform

Aber Moment mal – wieso überhaupt Wirksamkeit? War es nicht das eigentliche Anliegen, einen „statistischen Denkfehler“ zu korrigieren? Macht es nicht einen gewaltigen Unterschied aus, ob ich einen behaupteten Zusammenhang (Unwirksamkeit) widerlegen oder einen anderen (Wirksamkeit) beweisen will? Für die mythische Inszenierung nicht, denn genau diese Differenz zwischen Botschaft und erklärter Absicht  gehört zu ihren Charakteristika.

Statt sich an Denkfehlern abzuarbeiten und auf diese mit ebensolchen zu antworten, erwarte ich von einem seriösen Journalismus vor allem eines: Dass er – anders als die mythische Sprechweise – zwischen Fakten und Bewertungen zu  trennen versteht.

Diese Möglichkeit entfällt, wenn am Ende nur herauskommen darf, was zu Beginn bereits feststand. Und wenn das Ergebnis Resultat eines Hantierens mit variierenden Fragestellungen und Daten ist. Ein solcher Faktencheck ist und bleibt Inszenierung mit der leuchtenden Botschaft, dass Experten eben mehr von der Sache verstehen als „Menschen im Internet“.

„Menschen im Internet“ aber sind nicht grundsätzlich böse Verschwörer, die den Journalismus per se diskreditieren wollen. Sie haben Fragen, Sorgen, Befürchtungen und sie erhoffen sich gut recherchierte Antworten oder Medienmacher, die stellvertretend für sie darauf bestehen, solche Antworten zu erhalten. Darauf mit einem Faktencheck zu antworten, der vor allem Herablassung zelebriert, bringt jedoch auch den seriösen Journalismus immer wieder neu in Verruf.

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