Liveschalte zum Attentat

Über die bigotte Berichterstattung öffentlich-rechtlicher Medien

Als in der Türkei geputscht wurde, gab es in den öffentlich-rechtlichen Sendern zunächst kaum eine Reaktion. Während überall auf der Welt live berichtet wurde, konnte man hier gemütlich Musik hören oder den üblichen Serienquatsch anschauen, der einem Abend für Abend von unseren Sendern mit öffentlichem Auftrag so dargeboten wird.

Daran gab es viel Kritik und vielleicht wollte die ARD es gestern (22.07.2016) besser machen. Während des Attentats in München wurde stundenlang live gesendet. Zutage kam dabei kein Hintergrundwissen, wie auch, zu diesem frühen Zeitpunkt. Zutage kam dagegen, wie bigott diese Medien berichten, die Besonnenheit predigen und gleichzeitig Verdachtsmomente in die Welt setzen oder das Unheil herbeireden. Schön skandiert von Aussagen wie: Nichts Genaues weiß man nicht.

Als ich mit Freunden darüber debattierte, erhielt ich zur Antwort: Wir leben nun einmal in einer Welt des Überflusses. Zuviel von allem – auch an Nachrichten und Informationen. Man könne ja ausschalten. Und wenn man dies nicht tue, habe man wohl nichts Besseres zu tun oder sei halt der eigenen Sensationsgeilheit erlegen.

Es wurde nicht zu viel oder zu wenig informiert, …

Nun beschäftige ich mich nicht erst seit gestern mit Fragen der Kommunikation und der Nachrichtenübermittlung. Es ist mir bekannt, dass Nachrichten in autoritären Regimen eher unterdrückt werden, in freiheitlicheren Gesellschaften dagegen im Überfluss auf uns niederprasseln, sodass niemand mehr in der Lage ist, diesen Fluss zu steuern oder zu verarbeiten. Das Ergebnis ist ebenfalls bekannt. Immer mehr Menschen lesen nur noch die Nachrichten, die sie ohnehin erwarten. Suchmaschinen und soziale Netzwerke kommen diesem „Bedürfnis“ nach Filterung entgegen, indem sie eine Vorauswahl für ihre Nutzer treffen.

… es wurde suggeriert und kommentiert.

 Zu den Aufgaben der öffentlich-rechtlichen Sender gehört es, zu informieren, aufzuklären, gegensätzliche Standpunkte zu verdeutlichen. Und vor allem: zu recherchieren. Kann man einen Umstand aktuell noch nicht klären oder darf darüber noch nicht berichtet werden, dann ist dies die Information.

Tatsächlich lässt sich feststellen, dass fehlende Informationen zunehmend oft durch Spekulationen oder durch Fiktionen ersetzt werden. Es werden Bezüge hergestellt, für die es keine Anhaltspunkte gibt. Es werden Suggestivfragen gestellt, die nicht zu widerlegen sind. Es wird mit Unterstellungen gearbeitet, die man zwar als solche benennt, trotzdem aber nicht unterlässt. Absurder geht es kaum noch. Genau so gut könnte man einem ängstlichen Kind sagen: Mach dir keine Sorgen, es gibt noch keine Hinweise darauf, dass das Monster unter deinem Bett real ist. Aber wir gucken in fünf Minuten nach, ob es noch da ist.

Ausschalten und geschehen lassen?

Also warum nicht einfach ausschalten? Das Gegenteil eines scheinbar liberalen Statements wie „es soll doch jeder machen, was er will“, ist das autoritäre „wenn es dir hier nicht passt, dann geh doch woanders hin.“ Oder ist es einfach die Kehrseite der Medaille?

Ich will nirgendwo anders hin. Ich lebe gern in diesem Land. Und ich lasse es mir nicht nehmen, darauf aufmerksam zu machen, wenn etwas falsch läuft. Wir haben ein paar verdammt gute Journalisten und Zeitungen hierzulande. Es kann, darf und soll aber nicht sein, dass Journalisten eines öffentlich-rechtlichen Senders mit Suggestivfragen und Unterstellungen Abendunterhaltung betreiben, Antworten und Fakten ignorieren und den Verdacht immer weiter in eine bestimmte Richtung treiben.

Wann haben Sie aufgehört, Ihren Hund zu schlagen?

Der Ablauf war in etwa so (aus dem Gedächtnis wiedergegeben und auf das Wesentliche reduziert):

Pressesprecher: Es gibt keine Hinweise auf einen islamistischen Hintergrund.   

Frage des Redakteurs (dem dieser Info bekannt ist) an den Reporter vor Ort oder an einen Experten: Gibt es Hinweise auf einen islamistischen Hintergrund?

Antwort: Es gebe Hinweise, die seien aber noch nicht so verdichtet, dass man definitiv davon ausgehen könne.

Nächste Frage des Redakteurs: Wenn es einen islamistischen Hintergrund gibt (oder gäbe), bedeutet das dann auch, dass die Gefährdung in Deutschland immer stärker wird?

Antwort: Deutschland ist generell gefährdet, ob sich das jetzt verstärkt habe, könne man nicht sagen.

Nächste Frage: Wenn die Gefährdung größer geworden ist, wie kann man sich dann schützen?

Undsoweiterundsofort.

Parallel meldet sich die gesamte Weltöffentlichkeit zu Wort, was den Eindruck verstärkt, dass hier ein Attentat wie in Paris oder Nizza zu vermelden sei. Ein bayrischer Politiker fordert den Einsatz der Bundeswehr. Eine Partei mit gewissem Einschlag ruft die Leute zur Verteidigung Deutschlands auf. Aus „bis zu 3 Tätern“ werden „mindestens 3“. Aus „bis zu xx Toten“ werden „mindestens xx Tote“.

Konstruktion versus Recherche von Wirklichkeit

Diese Form der Berichterstattung hat Auswirkung darauf, wie Menschen in diesem Land aufeinander reagieren. Sie trägt dazu bei, die ohnehin vergifteten Debatten weiter anzuheizen. Sie spaltet unsere Gesellschaft. Sie fördert bei den einen den Glauben, dass wir einfach zu viele böse Fremde im Land haben. Sie fördert bei den anderen den Glauben, dass man ihnen einmal mehr die Schuld für diese Morde in die Schuhe schieben will. Und: Sie hat dazu geführt, dass Menschen plötzlich überall Schüsse hörten, Attentäter vermuteten, sogar Geiselnahmen beobachteten, die es nicht gab. Aus einer Meldung wurden viele. Sie hat eine grauenhafte Wirklichkeit konstruiert, statt die wirklich grausamen Gegebenheiten zu recherchieren.

Der Attentäter besteht darauf, Deutscher zu sein

Die Wirklichkeit aber war gestern bereits schlimm genug. Vor allem für all jene, die einen geliebten Menschen verloren. Und für die, die wieder mal als Buhmänner herhalten mussten. Dabei: Informationen über den Täter gab es schon recht früh.

Ein Amateurvideo zeigt den Attentäter auf dem Dach des Einkaufszentrums. Dem „Dialog“, den er mit einem Anwohner führte, lässt sich entnehmen, dass er etwas gegen Ausländer hat, sich selbst als Deutschen bezeichnet und wohl zeigen wollte, dass er zum besseren Teil der Bevölkerung gehört. Hat er deshalb gezielt auf Jugendliche geschossen, die „ausländisch“ aussahen? Das Video wurde schon früh online gestellt. Sein Inhalt wurde in der ARD zunächst nicht berücksichtigt.

Es dauerte Stunden, bis auch die ARD darauf kam, dass ein rechtsextremer oder zurückhaltender gesagt, ein nicht-islamistischer Hintergrund nicht mehr ausgeschlossen war. Es dauerte Stunden, bis die beständig erneut wiederholten Spekulationen über einen Terrorakt mit islamistischem Hintergrund angepasst wurden – Stunden, in denen es vor allem die intelligenteren Nutzer der Social Media waren, die sich bei der ARD beschwerten. Leute, die nicht einfach ausschalteten, sondern erkannten und benannten, was für eine beschämende Berichterstattung dort lief.

Wir erhalten nicht zu viele Informationen. Wir erhalten zu wenig gut recherchierte Informationen

Wir hätten zu viel der Nachrichten und Informationen? Wir haben aktuell vor allem Journalisten, die sich beklagen, dass das Vertrauen in ihre Berichterstattung verloren ist. Die sich darauf besinnen wollten, mehr zu recherchieren und zu berichten als zu belehren und zu kommentieren.

Gestern haben sie viele Antworten erhalten. Und zwar nicht von den typischen „Lügenpresse“-Rufern, sondern von Menschen, die eine neutrale und informative Berichterstattung verlangen. Die nicht einfach ausschalten, sondern sich einmischen. Und das ist gut so.

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