Als Großmutter im Regen tanzte: Buchempfehlung

Eine kleine Insel in Norwegen, auf der die Welt noch in Ordnung zu sein scheint. Eine Großmutter, die sich geliebt fühlt, die farbenfrohe Bilder malt und in ihren roten Kleidern im Regen tanzt. Eine Enkelin, die zwar nicht problemlos, aber doch bestens behütet aufwächst. Menschen, die füreinander da sind – als Liebende, als Freunde, als Nachbarn.

Und dann bricht sie plötzlich in das vermeintlich Idyll ein, diese andere, feindselige Welt, vor der uns auch die stärksten Familienbande nicht schützen können. In der es Kriege gibt und Hass, Verwahrlosung und den Wunsch, einander zu vernichten. Die Welt des Feindes, der nicht immer klar zu erkennen ist. Die Bedrohung, der du nicht entgehen kannst, auch wenn du irgendwo am Ende der Welt in einem zauberhaften Garten aufwächst.

In ihrem Roman „Als Großmutter im Regen tanzte“ erzählt Trude Teige die Geschichte einer jungen Norwegerin, die sich in einen deutschen Soldaten verliebt, als „Deutschenhure“ verstoßen wird und daher ihrem Geliebten nach Kriegsende in seine Heimat folgt. Was die beiden erleben, ist grausam, schmerzt und offenbart die ganze Sinnlosigkeit eines Krieges, der nur ein Ziel zu kennen scheint: das Gute, das Beständige, das Menschliche in uns zu vernichten.

Und doch ist dieser Roman kein „Manifest“ gegen den Krieg, dessen Gräuel bis in die privatesten Räume und Träume hinein er schonungslos schildert. Es ist ein Plädoyer für die Menschlichkeit, die sich Einzelne in diesem Grauen bewahren. Die sie selbstverständlich und ohne ideologische Absicherung durch eine politische oder moralische Haltung das Richtige tun lässt. Sei es, indem sie einem Hungernden ein Stück Brot reichen, sei es, indem sie inmitten der Trümmer Chopin spielen und im Regen tanzen.

An der Protagonistin June, die dem Schicksal ihrer Großmutter und damit auch ihrer eigenen Herkunft nachspürt, wird zudem deutlich, wie sich die Erlebnisse und Erfahrungen, die inneren Einstellungen und die Art, wie wir auf die Welt blicken, über Generationen entwickeln. Wie Familiengeheimisse uns prägen, wie die Erfahrung von „Schande und Schuld“ dazu führt, dass eine junge Frau, die davon nichts weiß, eine „toxische“ Verbindung zu einem Mann eingeht, der ihr das Gefühl gibt, besonders wertvoll zu sein.

Als Leserin, die selbst ein wenig Familienforschung betreibt, haben mich gerade diese Schilderungen immer wieder aufmerken lassen. Denn obwohl June und ich nichts gemeinsam haben, meinte ich wiederzuerkennen, was ich selbst begriff, als ich tiefer in die Geschichte meiner Familie eintauchte: Es ist nicht das Blut, das dicker ist als Wasser. Es ist diese geheimnisvolle Aura, die sich aus Erinnerungen und stummen Botschaften, aus dem Selbstverständlichen und Unausgesprochenen nährt, die Gemeinschaft und Verbundenheit formt. Und es ist der Zwang, ein Schicksal auf abgewandelte Form wiederholen zu müssen, bis das sich darin verbergende Geheimnis auf sanfte, aber hartnäckige Weise offengelegt wurde.

Bis es so weit ist und wir als Leserinnen die ganze Geschichte kennen, dauert es seine Zeit, denn 376 Seiten sind für einen Roman, dessen Ende man kaum erwarten kann, ohne eine einzige Schilderung missen zu wollen, keine kurze Wegstrecke. Und ja, hier und da habe ich mir gewünscht, die Erzählerin hätte eine andere, durchgängig auktoriale Erzählweise gewählt. Doch die Geschichten, die dieses Buch erzählt, sind stark genug, um auch ohne eine „epischere“ Form ihre Wirkung zu entfalten.

Von mir daher eine klare Leseempfehlung!

Bibliografische Angaben zum E-Book

Trude Teige: Als Großmutter im Regen tanzte.

Aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob

FISCHER E-Books; 1. Edition (22. Februar 2023)

ASIN: ‎ B0BJNB2RD3

Preis für die E-Book-Ausgabe: € 16,90

Das Buch ist auch als gebundene Printversion zum Preis von € 22 erhältlich.

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