Tanzverbot an Karfreitag? Warum nicht?

Natürlich kann man am Karfreitag darüber streiten, ob die Kirche, vertreten durch den Staat, das Recht hat, Menschen das Tanzen zu verbieten. Es gibt gute Argumente dafür und dagegen. Letztlich scheint es mir aber eine sehr triviale  Sicht auf die Dinge zu eröffnen.

Ich selbst glaube nicht an die Wiederauferstehung, sehr wohl aber an die tiefe Wahrheit, die die Leidensgeschichte, die Passion Christi, offenlegt. Denn sie handelt von einem, der von seinen Freunden missverstanden und verraten wurde. Sie zeigt die Angst und Scham derer, die zu feige waren, sich zum Freund zu bekennen, und sie vermittelt die Schamlosigkeit jener, die sich an Gewalttaten berauschen und sich nicht sattsehen können daran.

Aber sie handelt eben auch immer wieder von der Stärke eines Glaubens, der einen Menschen dazu befähigt, dieser Schamlosigkeit zu widerstehen. Ein Glaube, der auf einer tiefen Kenntnis und Akzeptanz dessen, was menschlich ist, basiert. Ein Glaube, der sich nicht über andere erhebt, sondern jenen einen Spiegel bietet, die sich darin erkennen wollen.

In meinen Geschichten greife ich das Karfreitagsgeschehen, das sich letztlich an jedem Tag ereignet, immer mal wieder auf.  In La Espeja ist es klar als Ostergeschichte erkennbar. In Objektiv zeigt es sich im Schicksal des „ewigen Juden“, von dem mein Protagonist sich verfolgt sieht. In beiden Geschichten geht es zudem darum, dass der Hass stets danach trachtet, das Schöne, Unversehrte, Unschuldige zu zerstören, es vorzuführen, zu verspotten, bloßzustellen und auszumerzen. Doch reicht es eben nicht, sich selbst als jemanden zu verorten, der auf der Seite der Guten und der Schwachen steht. Nur wer die eigenen Abgründe kennt, findet den Weg, sie zu überqueren. Und nur, wer sich weigert, sich stets zu oder gegen etwas bekennen zu müssen, weil er die Polarisierung nicht akzeptiert, finden einen dritten, vierten, einen anderen Weg.

Denn letztlich zeigt sich die Fratze des Hasses ja nicht nur bei den Gewalttätern und Gaffern. Sie zeigt sich bei allen, die der Gewalt zustimmen, weil sie Teil eines Systems ist, an das sie glauben, das sie für schlüssig halten. Vielleicht aus Bequemlichkeit oder Nutzdenken. Oder weil, wie Arendt es beschrieb, die „Banalität des Bösen“ so schwer zu durchschauen ist, wenn sie von Pathos beseelt von einem Besitz ergreift.

Über Alexander, meinen Protagonisten aus „Objektiv“ schrieb ich daher:

„Er kannte die Fratze des Hasses, er wusste, was Menschen anderen antun konnten, ganz ohne eine schreckliche Kindheit erlitten haben zu müssen. Er verstand, man konnte Goethe lesen und Bach hören, die Kinder zu Bett bringen, der Frau über die Wange streichen und dann seinen Pflichten in einem Konzentrationslager nachgehen.

Wer sich innerhalb eines geschlossenen Systems befindet, hält für normal, was darin alltäglich geschieht. Auch wenn man darüber seine Menschlichkeit verliert. Oder seine Fähigkeit zur unvermittelten Wahrnehmung und Empfindung.“

Der Karfreitag ist ein guter Tag, um über diese Dinge nachzudenken und sie auf sich wirken zu lassen, finde ich. Auch wenn einem das Tanzen verboten wird – vielleicht bemerkt der eine oder die andere ja, dass der Hass, mit dem er oder sie auf dieses Verbot reagiert, sich aus ganz anderen Quellen nährt als nur aus dem Streben nach Gerechtigkeit?

Mehr über „La Espeja | Das Fest der 1000 Wünsche erfährst du, wenn du diesem Link folgst. Worum genau es in meinem dystopischen Roman „Objektiv“ geht, kannst du hier nachlesen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert