Davon geht die Welt nicht unter, wohl aber die Meinungsfreiheit

Über den Trend, Likes, Follower und Streams zu kaufen.

Likes kaufen, Kommentare kaufen, Abonnenten oder Streams kaufen – für YouTube, Facebook, Spotify oder Instagram und andere Social Media sowie Bewertungsportale – mit diesem Angebot werben seit Jahren zahlreiche Internetagenturen.

Die meisten davon vermitteln Klicks durch sogenannte Bots, das heißt, es werden Likes oder andere Interaktionen durch eine Software generiert. Da solche Likes aber in der Regel wertlos oder durch die Algorithmen der Plattformbetreiber leicht nachzuverfolgen sind, werben Agenturen, die sich davon abheben wollen, mit einer Alternative: Sie bieten Klicks von „echten“, sprich von verifizierten Accounts an. Der Trick: Es handelt sich um Accounts, die entweder für genau diese Zwecke angelegt wurden, oder aber um Nutzer, deren Accounts dafür missbraucht werden, ohne dass sie davon wissen.

Likes, Kommentare, Views und mehr: Wer teuer kauft, kauft sicherer

Wer Likes, Kommentare oder Abonnenten kaufen will, hat zumeist die Wahl zwischen einer Basis-  und einer Premiumvariante. Relativ preiswert ist es, Likes, Views und dergleichen nach dem Zufallsprinzip zu kaufen. Die Agentur verteilt diese dann unter den Beiträgen, Videos oder Podcasts und Accounts, die damit bedacht werden sollen. Wer mehr investieren kann und will, wählt aus, von wem die Likes stammen (Männer oder Frauen, deutschsprachig oder international). In der preisgünstigen Variante werden alle gekauften Likes oder Views als Paket ausgeliefert, sodass sich über Nacht die Zahl der gewünschten Reaktionen wie von Zauberhand vervielfacht. In der teureren Variante lässt sich dagegen auch regeln, wann und wie oft die sozialen Interaktionen ausgeführt werden, sodass die Strategie weniger bedroht ist, entdeckt zu werden.

Auf die richtige Strategie kommt es an

Damit es nicht auffällt, dass man Likes oder dergleichen gekauft hat, sind zudem einige Regeln zu beachten. Ganz oben steht, dass man sich an den vorhandenen Zahlen orientiert und sich ein wenig mit den sogenannten Engagement-Raten auskennt. Auch der Zeitpunkt, zu dem Likes und Co gekauft werden ist von Bedeutung.

Ein Beispiel: Du hast einen Account auf Instagram, lädst regelmäßig hervorragende Fotos hoch, aber die Zahl der Likes ist gering. Und das, obwohl andere, die ähnliche Motive fotografieren, für jede verwackelte Aufnahme Hunderte von Likes kassieren. Deine Followerzahl stagniert bei etwa 100, die Zahl der Likes bei 5 bis 10, wogegen der Typ, der jeden Tag seinen Burger fotografiert, 10.000 Follower hat, die ihm Hunderte von Herzchen und Kommentaren hinterlassen. Irgendwie unfair, oder?

Likehungrige Algorithmen und Schwarmverhalten als Gründe für den gekauften Schwindel

Die Gründe liegen bei den Algorithmen der Social Media, aber auch im für das Netz so typischen „Schwarm-Verhalten“. Ob und wo die Social Media deine Beiträge anderen Nutzern anzeigen, hängt bekanntermaßen davon ab, wie viele Follower du bereits hast, wie regelmäßig du postest, wie viele Interaktionen du erzielst. Wer wenig hat, bekommt daher auch erst einmal wenig.

Darüber hinaus kennen wir alle das Schwarm-Verhalten aus dem analogen Leben. Stell dir vor, du überquerst einen Marktplatz, auf dem sich eine große Menschenmenge um einen Straßenkünstler versammelt hat. Wenn du es nicht gerade sehr eilig hast, wirst du neugierig und stellst dich dazu. Gehst du über denselben Platz, auf dem derselbe Künstler spielt, ohne dass ihm bisher jemand Beachtung geschenkt hat, ist die Chance, dass du stehenbleibst, geringer.

Mit diesen Problemen kämpft jeder, der eine Weile in den Social Media aktiv ist. Zu Beginn gibt es meistens noch einen Anfängerbonus, der dir rasch ein paar Abonnenten und Likes einbringt. Doch das legt sich irgendwann und du konkurrierst nun mit jeder Menge anderer Accounts um die Aufmerksamkeit der Betrachter oder Zuhörer. Es liegt also nahe oder ist zumindest verführerisch, diese Aufmerksamkeit mit einfachen Mitteln und wenig Geld forcieren zu können.

Bezahlte Werbekampagnen versus gekaufte Interaktionen

Eine legale Möglichkeit, deine Reichweite in den Social Media zu verbessern, besteht darin, bezahlte Anzeigen zu schalten. Eine andere eben darin, Likes, Kommentare oder Streams und Views zu kaufen, um damit dem Algorithmus, aber vor allem auch anderen Usern vorzugaukeln, dass dein Account oder deine Firmenpage sich großer Beliebtheit erfreut. Dies führt, wenn alles gut läuft, zu zwei positiven Effekten:

1. Der Algorithmus registriert, dass deine Abonnentenzahlen steigen und du hohe Engagement-Raten hast und blendet deine Beiträge daher länger oder auf besseren Positionen ein. Du verbesserst also insgesamt deine Reichweite.

2. User registrieren die vermeintliche Beliebtheit deines Accounts, sodass ihre Neugier geweckt wird. Zudem ist es immer interessanter, an etwas beteiligt zu sein, was bereits zahlreiche Leute nutzen, als sich in einem ansonsten schlafenden Account ab und zu mal zu Wort zu melden. Für Gruppen und Wortbeiträge werden daher auch gern Kommentare gekauft. Die spiegeln vermeintlich ein reges Interesse und/oder eine rege Beteiligung wider. Und jeder vorhandene Kommentar senkt die Scheu anderer User,  sich zu Wort zu melden.

Drei Gründe, warum du lieber die Finger davon lassen solltest

Die Prämisse allerdings lautete: Wenn alles gut geht. Denn natürlich wissen nicht nur die Agenturen, dass sich Accounts oder Musiktitel, Playlists und Videos auf diese Weise pushen lassen, die Betreiber der Social Media wissen es auch. Und sie sind schon aus Gründen des Selbstschutzes daran interessiert, ein solches Verhalten aufzudecken und abzustrafen. Zum einen, weil es dazu führt, dass sie Werbeeinnahmen verlieren, denn es ist zumeist deutlich günstiger, Interaktionen zu kaufen als Ads. Zum anderen, weil sie darüber an Glaubwürdigkeit verlieren. Zum dritten schließlich, weil die meisten Social Media heute Werbeeinnahmen über personalisierte Einblendungen generieren. Gekaufte Likes und Abonnenten verfälschen aber die dafür benötigten Daten.

Woran du gekaufte Interaktionen erkennen kannst

Wer die Sache also unklug angeht, fliegt schnell auf. Dies ist der Fall, wenn aus 100 Abonnenten über Nacht 1.000 werden, ohne dass sich im Account sonst etwas getan hat, oder wenn ein Video, das gerade mal 10 Leute geschaut haben, bereits 100 Likes erhalten hat.

Daneben kommt es zu anderen Auffälligkeiten, beispielsweise, wenn eine Organisation mit deutsch-nationaler Ausrichtung überwiegend Likes und Kommentare von Usern mit arabisch oder afrikanisch klingenden Namen erhält. Auch die Qualität der Kommentare lässt häufig Rückschlüsse zu.

Allerdings stehen auch hier verschiedene Varianten zum Kauf: In der billigen Variante erfolgen Kommentare wie „he, klasse Video“ oder „tolles Profil“, also die üblichen Äußerungen, wie man sie auch von Profilspammern kennt. In der teureren Variante können die Kommentare dagegen ausgesucht oder vorformuliert werden.

Was in die eine Richtung funktioniert, lässt sich als mächtiges Werkzeug auch in die andere Richtung praktizieren. Es ist nämlich auch möglich, Dislikes oder negative Kommentare zu kaufen wie auch negative Bewertungen für bestimmte Portale oder für Google. Die einzige Voraussetzung hier ist: Es muss sich um öffentliche Accounts handeln oder um Portale, in denen man sich anmelden kann, ohne sich persönlich per Kauf oder Kundennummer verifiziert zu haben.

Dislikes lassen sich in geringer Dosierung nutzen, um den plötzlichen Anstieg an Popularität glaubwürdiger erscheinen zu lassen. Denn wo sich Bewunderer einfinden, trudeln immer auch Kritiker oder Neider ein. Sie lassen sich aber auch einsetzen, um beispielsweise echte oder unerwünschte Kommentare möglichst weit nach hinten zu verschieben.

Was bringt der Kauf von Likes und Followern?

Für die Nutzer ist der Kauf von Likes und Interaktionen immer mit der Gefahr verbunden, entdeckt zu werden. Wer ein wenig Erfahrung mit diesem Phänomen hat, erkennt auf einen Blick, was sich da tut, kann es aber nur selten beweisen. Doch auch die Algorithmen werden beständig verfeinert und lernen, gefälschte Interaktionen aufzudecken.

Käufer müssen sich zudem darüber im Klaren sein, dass die Likes und Follower, die sie gekauft haben, nicht wirklich ihrem Angebot geschuldet sind. Sie stellen eine reine Quantität dar, mit der sich ein gewünschtes Ergebnis vorübergehend manipulieren lässt. Die gekauften Follower aber werden nicht aktiv und die Streamer mögen Musik oder Podcasts, die sie gesehen oder gehört haben, nicht wirklich – sofern es sich denn überhaupt um „echte“ Follower und Streamer handelt.

Gekaufte Likes sind nur nützlich, wenn weitere Aktionen folgen

Agenturen, die offen mit solchen Marketinginstrumenten umgehen, weisen die Käufer von Likes und Followern genau darauf hin. Und sie stellen klar, dass der Kauf von Likes und Abos allein nicht dazu führt, dass der Account-Inhaber in den Social Media dauerhaft Erfolg hat. Hierfür spielen auch der Zeitpunkt des Kaufs und das weitere Verhalten eine Rolle. Beispielsweise ist es unglaubwürdig, wenn ein Video, das wochenlang unbeachtet vor sich hindümpelte, plötzlich zwei Millionen Klicks generiert – wer da nicht misstrauisch wird, ist deutlich unterinformiert.

Nein, die Likes und Reaktionen sollten möglichst rasch nach dem Upload eines neuen Beitrags eingehen. Außerdem sollte der Käufer zu diesem Zeitpunkt bereits Material zum „Nachladen“ haben, damit er auf der vermeintlichen Erfolgswelle noch länger mitschwimmen kann und die Chancen erhöht, tatsächlich echte neue Fans oder Abonnenten zu gewinnen.

Empfohlen wird zudem, eigene Videos oder andere Angebote während einer Phase, in der gekaufte Interaktionen eingehen, nicht zu „monetarisieren“. Werbung sollte in dieser Zeit ausgeschaltet sein und wer als Influencer meint, mit den geschönten Statistiken neue Werbekunden beeindrucken zu können, begibt sich ebenfalls aufs Glatteis. Fliegt der Schwindel auf und haben Unternehmen bezahlte Werbung für gefakte Follower bezahlt, ist es bestenfalls nur mit der Karriere zu Ende, schlimmstenfalls droht noch eine Anzeige wegen Betrugs.

Welche Gründe sprechen für den Kauf?

So verwerflich es vielfach scheint, dass sich Menschen dieser Methoden bedienen, so nachvollziehbar ist es zuweilen doch. Der Grund liegt, wie oben geschildert, im Algorithmus und in dem wahnsinnig großen Angebot, das über die Social Media kostenfrei aufrufbar ist. Wer hier nicht rein privat unterwegs ist, wer ernsthaft Karriere machen möchte, muss ohne solche Mittelchen meist Jahre investieren, in denen er für die Plattformen und die Nutzer arbeitet, selbst aber kaum etwas verdient.

Hinzu kommt, dass es gerade im Musik- oder Filmbereich kaum möglich ist, sich gegen Stars und Management großer Produktionsfirmen durchzusetzen, denen Millionenbeträge zur Verfügung stehen, um Marketing zu betreiben.

Nicht jeder Kauf ist kriminell oder führt zum Weltuntergang

Dass es im Netz vor allem auf Reichweite ankommt, wissen natürlich auch viele User. Zum Ausdruck kommt dies beispielsweise in Kommentaren unter reichweitestarken Videos wie:

 „Endlich mal ein […], der seine Reichweite nutzt.“ Oder

„Ich hoffe dieses Video kommt in die Trends. Edit: ich wollte einfach nur einen Kommentar schreiben damit es wahrscheinlicher ist.“

In solchen Fällen müssen die Kommentare also nicht gekauft sein, es reicht, dass die User das Spiel verstehen und ihren „Star“ unterstützen wollen. Ist eine gewisse Grundaufmerksamkeit dann erst einmal vorhanden, springt der Algorithmus ebenso an wie andere Medien auf den Trend aufspringen.

Aus diesem Grund finden sich ja unter nahezu jedem Video oder Beitrag die üblichen Bitten, zu liken, Kommentare zu hinterlassen oder den Beitrag zu teilen. Doch die Engagementrate bleibt in der Regel deutlich hinter den Followerzahlen zurück.

Gründe, die für den Einsatz gekaufter Interaktionen sprechen, ergeben sich daher aus:

  • Dem Zwang, dem Algorithmus immer mehr Follower und Interaktionen liefern zu müssen, um eine hohe Reichweite zu erzielen und damit echte Fans generieren zu können.
  • Der Übermacht von Stars und Konzernen, die sich Aufmerksamkeit über finanzierte Marketingmaßnahmen kaufen.
  • Dem Umstand, dass sich mit aufwendigen Produktionen im Netz zunächst nichts verdienen lässt, weil User es gewohnt sind, alles für „lau“ zu bekommen.

Nicht jeder, der Likes oder Kommentare kauft, sollte daher geächtet werden. Oft sind wir Nutzer selbst daran beteiligt, weil wir alles umsonst haben wollen, ohne uns entsprechend zu engagieren oder einen Obolus zu leisten. Auch werden es in der Regel nicht Millionen Likes sein, die gekauft werden, sondern ein paar Hundert oder Tausend. Die größte Zahl der Käufer dürfte damit die Erfahrung machen, dass der Kauf ihnen bestenfalls nicht geschadet hat.

Meinungsfreiheit schließt den Kauf von Meinungen aus

Kriminell wird es jedoch, wenn auf diese Weise Meinungen manipuliert oder Wahlen gewonnen werden. Denn Meinungsfreiheit besteht nicht nur darin, dass man seine Meinung immer und überall äußern darf, sie kann nur dort bestehen, wo Meinungen nicht ge- oder verkauft werden, ganz gleich für welche hohen und ehrenwerten Ideale.

Wer es also als skandalös bewertet, wenn ein amerikanischer Präsident durch Bots unterstützt wird oder wenn eine deutsche Bundestagsabgeordnete Likes kauft, der sollte diesen Grundsatz auch dann nicht opfern, wenn dies für „die richtigen Ziele“ getan wird.

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