Buchempfehlung: Junge Dichtung aus Lettland.

Zweisprachiges Lesebuch Deutsch/Lettisch. Übersetzungen von Kristaps Grasis. Verlag hochroth.

Was zeichnet die Dichtung eines Landes, einer Sprache aus? Gibt es Gemeinsamkeiten, ein verbindliches Thema? Als Rezensentin muss ich mich vielleicht gerade vor verallgemeinernden Aussagen hüten, die letztlich nur zeigen, was ich wahrgenommen, welchen Gedichten und Geschichten ich besondere Aufmerksamkeit geschenkt habe. Die Lektüre dieses kleinen, aber vielseitigen Gedichtbandes mit Werken zeitgenössischer Dichter und Dichterinnen aus Lettland bestätigt mir das einmal mehr. Doch greifen wir nicht vor.

Mehr lesen

Buchempfehlung: Corpus Delicti von Juli Zeh

Nebst einem eigenen Abstecher in Sachen Gesundheitspolitik.

(Erste Veröffentlichung dieses Beitrags erfolgte 2019)

Erst nannten wir es Christentum, dann Demokratie. Heute nennen wir es METHODE. Immer absolute Wahrheit, immer das reine Gute, immer das zwingende Bedürfnis, die ganze Welt damit zu beglücken. Alles Religion. Weshalb sollte sich ein Ungläubiger wie Sie für eine Spielart des immer gleichen Irrtums stark machen?“ (Juli Zeh: Corpus Delicti. Ein Prozess.)

Mit diesen Gedanken konfrontiert die Protagonistin Mia Holl aus Juli Zehs Roman „Corpus Delicti“ ihren Widersacher, Heinrich Kramer, der die Provokation erkennt, aber dennoch verspricht, Milde walten zu lassen. Wie überhaupt fast alle in diesem Buch so unfassbar bemüht sind, das Gute, das Richtige, das Verständige zu tun, auch wenn es letztlich dazu führt, dass Unschuldige sterben und sich Fortschritt, Aufklärung und Mitleid in eine düstere Triade verwandeln, der ein Einzelner nichts mehr entgegenzusetzen hat. Denn wo alle einer Methode folgen, die einzig und allein das Richtige vorgibt, da wird jeder Fehler, jeder Ausbruchsversuch aus dem Rationalen zur Ketzerei.

Mehr lesen

Buchbesprechung: Im Schatten des Todes

Eine Novelle von Rūdolfs Blaumanis

14 Fischer und zwei Pferde befinden sich auf dem Eis in der Bucht von Riga. Die Männer werfen ihre Netze aus und bemerken erst zu spät, dass sich die Scholle, auf der sie stehen, vom Ufer gelöst hat und aufs offene Meer zutreibt. Einer versucht noch ans Ufer zu kommen, ertrinkt aber in dem eiskalten Wasser.

Mehr lesen

Buchempfehlung: Erwachen im 21. Jahrhundert von Jürg Halter

Roman, Zytglogge Verlag 2019

Kaspar erkennt seine Wohnung als Kopf, durch den er in diese Nacht geht, taumelt, stolpert, fällt. Seine Wohnung als Kopf, durch den er gehetzt wird, sich hetzen lässt.

Kaspar, der Protagonist aus Jürg Halters Roman „Erwachen im 21. Jahrhundert“, schreckt im Juni 2018 aus einem Traum hoch. Es ist noch Nacht, aber er steht auf, bereitet sich auf seine Abreise vor, die ihn nach Brest führen soll zu „den anderen“.

Mehr lesen

Buchempfehlung: James N. Frey: Wie man einen verdammt guten Roman schreibt.

Übersetzt von Ellen Schlootz und Jochen Stremmel. Emons-Verlag 1993.

Wie schafft man runde Figuren und wie entsteht eine spannende Story? Was genau ist eine Prämisse, der sich jeder Roman zu unterwerfen hat, und wofür sollte sie gut sein? Warum ist es für geniale oder zumindest talentierte Schreiber oft viel schwieriger, einen Roman zu verfassen, als für disziplinierte Arbeitstiere? Weshalb ist es so wichtig, ehrlich zu sich selbst zu sein, wenn man einen guten Roman schreiben will?

Mehr lesen

Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit

Über Walter Benjamins Essay und dessen Bedeutung für die Gegenwart

Knapp 40 Seiten umfasst Walter Benjamins berühmter Aufsatz zur technischen Reproduzierbarkeit von Kunstwerken. Trotz dieser Kürze gilt er als „Gründungsdokument der modernen Medientheorie“.

Benjamin befasst sich darin mit der Frage, wie die Möglichkeit, Kunstwerke unendlich zu reproduzieren, unsere Wahrnehmung von Kunst und unsere Bewertung und Interpretation von Wirklichkeit verändert.

Der Aufsatz entstand 1936, als Benjamin selbst sich bereits ins Exil flüchten musste, also vor dem Hintergrund des sich zum Massenphänomen entwickelnden Faschismus. Doch die Fragen, die er stellt und zu denen er anregt, sind auch fast neun Jahrzehnte noch aktuell.

Mehr lesen

Ludwik Fleck: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Buchempfehlung

Wie entstehen wissenschaftliche Tatsachen? Können Tatsachen überhaupt entstehen oder sind sie nicht immer schon vorhanden, bis sie eben jemand entdeckt? Bis beispielsweise ein Krankheitserreger gefunden und damit die Ursache für die Entstehung einer Krankheit nachgewiesen ist? Zeichnet sich Wissenschaft nicht gerade dadurch aus, dass sie sich von Fiktionen und Glaubenssätzen fernhält, dass sie Tatsachen nicht erfindet, sondern auf der Suche nach Erkenntnis vorfindet?

Wie naiv die Annahme ist, dass wissenschaftliche Erkenntnis unabhängig von ihren eigenen Voraussetzungen zu objektiven Tatsachen gelangt, zeigen die erstmals 1935 publizierten Aufsätze Ludwik Flecks, in denen er seine Lehre vom wissenschaftlichen Denkstil und Denkkollektiv erläutert.

Mehr lesen

Buchempfehlung: Mark Changizi: Die Revolution des Sehens

Über vier menschliche Superkräfte verfügt der Mensch, die unmittelbar mit seiner Art zu sehen und visuelle Informationen zu verarbeiten, zusammenhängen: Wir alle können demnach hellsehen, durch Dinge hindurchsehen, in die Zukunft schauen und Gedanken lesen.

Was hat es mit diesen Superkräften auf sich? Wie und warum haben sie sich entwickelt und sind sie unbegrenzt verfügbar? In seinem Buch über die Revolution des Sehens lädt Changizi zu neuen Betrachtungsweisen ein, ohne allerdings in eine bodenlose Spekulation zu verfallen.

Mehr lesen

Buchbesprechung: Die Humane Marktwirtschaft

Von Peter Haisenko und Hubert von Brunn, Anderwelt-Verlag 2016.

Schon vor dem Corona-Lockdown befanden sich Teile der Wirtschaft auf dem Weg in die Rezession. Die Verbreitung des Virus hat diesen Niedergang beschleunigt, teilweise wird er durch lebensverlängernde Maßnahmen verzögert. Wann, wenn nicht jetzt, wäre daher der Zeitpunkt günstiger, um über den Aufbau einer neuen gerechteren Volkswirtschaft nachzudenken?

Mehr lesen

Alexander Grau: Politischer Kitsch. Eine deutsche Spezialität. Rezension

Politischer Kitsch hat Hochkonjunktur“, so lautet die einleitende These des Philosophen Alexander Grau in seinem 2019 erschienenen Essay. Kitsch definiert er darin als eine „Lüge“, da dieser „behauptet etwas zu sein, was er nicht ist. Und er gibt vor, einen Wert zu haben, der ihm nicht zukommt.“ Damit ist natürlich nicht die kleine Engelsfigur gemeint, die vor Herzchen drapiert, den Wohnzimmeraltar verschönert. Grau spricht vom politischen Kitsch, der sich als reflektierte Meinung, als Kampf gegen das Böse, Ungerechte oder auch als Ultima Ratio ausgibt.

Mehr lesen