Dorothea Brande: Schriftsteller werden. Rezension

Gibt es eine Zauberformel, um erfolgreiche Schriftstellerin zu werden? In ihrem erstmals 1934 erschienenen Schreibratgeber „Schriftsteller werden“ gibt die Autorin Dorothea Brande eine verblüffende Antwort: Ja, es gibt sie. Und sie lässt sich sogar lehren und erlernen. Damit widerspricht sie so ziemlich allem, was mir aus Anleitungen zum „kreativen Schreiben“ bekannt ist. Ein Grund mehr, sich diesen durchaus ungewöhnlichen Ratgeber anzuschauen.

Es gibt unglaublich viel technisches Wissen und effektsteigernde Kniffe, die man sich rein verstandesmäßig aneignen kann. Dennoch ist es am Ende das Unbewusste, das über Form und Inhalt Ihrer geplanten Arbeit entscheidet. Wenn Sie sich seine Fähigkeiten zunutze machen, statt ihm ständig ins Handwerk zu pfuschen, indem Sie ihm Sachen aufzwingen, die Sie nach eingehender Konsultation technischer Ratgeber für sinnvoll, wünschenswert oder überzeugend halten, dann wird es Sie mit einem viel besseren und glaubwürdigeren Endergebnis belohnen.“

Mit ihrer Veröffentlichung „Schriftsteller werden“ (1934) richtete sich Dorothea Brande (1893-1948) in einer einfachen Sprache an alle, die das Schreiben ernsthaft erlernen und von Anfang an ihr Bestes geben wollen. Nicht die „Texthandwerker“, die selten um Rat fragen, will sie ermuntern, sondern die Künstler, die hadern, an sich selbst zweifeln und zu viel Zeit damit verbringen, die Technik zu erlernen, wo es doch erst einmal um etwas viel Wichtigeres geht.

Darum nämlich, die eigene Schriftstellerpersönlichkeit zu werden, sich mit den eigenen Widerständen, Themen, Fragen, Ansichten zu befassen und sich wortwörtlich eine Sichtweise anzueignen, die geeignet ist, die Welt als „Rohmaterial“ immer wieder neu zu entdecken.

Wer sich auf den Weg macht, wird bald eines Phänomens gewahr, das schon von vielen Schriftstellern und Schriftstellerinnen thematisiert wurde: die Zweiteilung des schreibenden Ichs in einen „unbewussten“ Wesenskern, aus dem ihm oder ihr Stoffe und Stories zuströmen. Und in den bewussten Kritiker, der dem eine Form gibt, es ordnet und sortiert.

Beide Wesenszüge, so weiß Brande, müssen miteinander in Verbindung gebracht werden, damit nicht nur beliebige Texte entstehen, sondern Werke, die so einzigartig und authentisch sind wie die Person, die sie verfasst hat. Nicht allein das Wie des Tuns, sondern der Blick auf das eigene Sein und die Erweiterung der eigenen Persönlichkeit machen den Schriftsteller/die Schriftstellerin Brande zufolge nämlich aus.

Einiges von dem, was Brande beschreibt, mag beim ersten Lesen banal erscheinen. Etwa wenn sie konstatiert, dass nicht (allein) die Willenskraft, sondern vor allem die Vorstellungskraft entscheidend ist, um den unbewussten Schreibprozess zu entfachen.

Um ihren Gedanken von der Macht unbewusster Vorstellungen zu illustrieren, empfiehlt Brande ihren Lesern und Leserinnen, sich im Pendeln zu üben. Denn in welche Richtung und wie sich das Pendel bewegt – kreisförmig oder seitlich ausschlagend – hängt wesentlich davon ab, was sich die Person, die es hält, unbewusst wünscht oder vorstellt.

Diese Vorstellungskraft zu trainieren, ihr zu vertrauen und sie durch bewusstes Steuern und anschließendes Korrigieren zu lenken, zeichnet den Prozess aus, der aus Texthandwerkern Schriftsteller werden lässt. Keine einfache Aufgabe. Aber in einer Handvoll Übungen gibt Brande Hilfestellung, um sich diesem Ziel anzunähern.

Ob sich die höchste Stufe, der Zugang zur eigenen „Genialität“, dann wirklich erreichen lässt, wird von vielen weiteren Faktoren abhängen. So gesehen würde ich Brande trotz allem Einleuchtenden und Nachvollziehbaren widersprechen: d i e Zauberformel gibt es nicht. Aber ganz gewiss gibt es einen Einlass ins Reich des Imaginativen und Geistigen, zu dem wir allein über Rationalität und technisches Handwerk keinen Zugang finden.

Mit diesem Einwand sei auch eine Schwäche des Buches benannt: Meiner Ansicht nach geht Brande, die wohl selbst eine große Vorliebe zu allerlei Okkultem hatte, zu unbedarft mit Begriffen wie „Unbewusstes“ oder „Unterbewusstsein“ um. Einige Autoren stellen ihre Schriften zudem in einen Zusammenhang mit der amerikanischen „New-Thought“-Bewegung und sagen der Autorin eine Nähe zum amerikanischen Faschismus nach, da sie mit dem Verleger Seward Collins verheiratet war, der sich vom Links-Liberalismus abgewandt hatte und eine Alternative zu Kapitalismus und Kommunismus in einer Art neuen Monarchie zu erblicken glaubte.

Ob etwas und, falls zutreffend, was an diesen Vorwürfen dran ist, kann ich nicht beurteilen. Insgesamt halte ich Brandes Denkanstöße für wichtig, in Teilen aber auch für überschätzt. Doch wundert es mich nicht, dass sie in einer Zeit, in der der Prozess des Schreibens einer rein technischen Produktion von Literatur zum Opfer fällt, wieder an Bedeutung gewinnen.

Meine Rezension bezieht sich auf folgende Ausgabe:

Dorothea Brande: Schriftsteller werden. Der Klassiker über das Schreiben und die Entwicklung zum Schriftsteller. Aus dem Amerikanischen von Kirsten Richers. Autorenhaus Verlag 2001.


ISBN: 9783932909788

12,80 Euro

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