Ich habe schon viel Eigenartiges über trainierte Software gelesen. Bisher dachte ich, das Dümmste sei, sie als künstliche „Intelligenz“ zu bezeichnen. Aber irgendwer setzt halt immer noch einen drauf. Und so steht in meiner persönlichen Rangliste nun die Aussage auf Platz 1, KI „demokratisiere“ die Kunst. Was ich aus welchen Gründen darüber denke, erfahrt ihr in diesem Beitrag.
Demokratisierung der Kunst oder organisierte Kriminalität?
Die Aussage, dass KI die Kunst demokratisiere, wird vor allem von Menschen getroffen, die etwas nicht können. Die nicht zeichnen können, aber Illustrationen, Grafiken oder Kunstwerke benötigen; die nicht schreiben können, aber Texte und Bücher verkaufen wollen, die keine Ahnung vom Komponieren oder Musizieren haben, aber Musikvideos produzieren möchten.
Bisher mussten sich die Nichtkönner mit anderen zusammentun, um solche Werke zu kreieren. Sie mussten also entweder einen eigenen Beitrag leisten, sich vernetzen, oder für die Arbeit anderer Menschen bezahlen – und sei es nur mit einem Copyright-Hinweis. Heute nennen sie es Demokratisierung, wenn sie diese Arbeit stehlen oder von der KI stehlen lassen. Denn weder die Künstler und Künstlerinnen noch ihre Vertretungen erhalten auch nur einen Cent dafür. Die einzigen, die daran verdienen, sind die Verursacher dieser organisierten Kriminalität und jene, die sich daran hemmungslos bedienen, um künstliche Produkte zu verkaufen.
Die finanziellen Auswirkungen sind schon jetzt für eine Vielzahl an Kreativen und Freiberuflern spürbar. Weil aber Freiberufler keine Lobby haben, weil sie Gewerkschaftern wie Finanzämtern immer schon ein Dorn im Auge waren und weil sie es gewohnt sind, mit niederträchtigen Versuchen, sie auszubeuten, umgehen zu müssen, arrangiert man sich oder gibt (sie) halt irgendwann auf. Zugunsten all jener, die nun Produkte herstellen, für die sie „Prompt Engineers“ statt Kreative und Künstler beschäftigen.
Kunst erschöpft sich nicht im Produkt, sondern wird lebendig im Schaffensprozess
Doch die finanzielle Ausbeutung von Künstlern und Kreativen ist nur eine Folge der „Demokratisierung“ von Kunst. Eine weitere, nicht minder schwerwiegende besteht darin, dass der Schaffensprozess selbst geraubt wird. Denn die Wirklichkeit und die Möglichkeit von Kunst sowie ihr Wert für die Gesellschaft bemessen sich nicht an der Summe ihrer Produkte, sondern an eben diesem Schaffensprozess selbst.
Der Vergleich zum Kochen liegt nah: Warum solltest du dir die Mühe machen, zu säen, zu gärtnern, zu ernten und alle Zutaten liebevoll in einer einzigartigen Rezeptur zusammenzustellen, wenn du auch eine Dose öffnen und ihren Inhalt aufwärmen kannst?
Oder stelle dir eine Spitzensportlerin vor, die viele Jahre trainiert hat, um an der Olympiade teilnehmen zu können. Würde es der Demokratisierung des Sports dienen, ließe ihre Konkurrentin sich von Robotern über die Ziellinie tragen?
KI befriedigt Bedürfnisse, Kunst stillt einen Hunger, den sie zugleich neu entfacht. KI berechnet, was dir am besten schmecken wird, Kunst fordert deine Sinne heraus. KI konserviert, Kunst aktualisiert. KI demokratisiert die Kunst nicht, sie banalisiert sie. Sie beraubt dich des Tuns, der Anstrengung, der Hoffnung, der Möglichkeit des Scheiterns und schlussendlich der Aussicht, dich als selbstwirksam und frei zu erfahren.
Aber gibt es nicht auch jede Menge Kunstwerke, die schlechter sind als alles, was man mit KI so erstellen kann? Vermutlich. Doch genau darauf kommt es nicht an. So wie die Liebe oder die Freiheit nur dort sein können, wo es Menschen gibt, die lieben und sich selbst zum Frei-Sein ermächtigen, so kann Kunst nur dort existieren, wo Menschen sich dem Schaffensprozess widmen, ganz gleich, ob sich die Ergebnisse am Ende verkaufen lassen oder nicht. Weshalb ein Künstler KI nutzen kann, um seinem Schaffen eine neue Ebene hinzuzufügen, sich ein Nichtkönner jedoch niemals als wirksam und frei erfahren wird, sofern er sich nicht selbst belügt.
Schon deshalb ist die Aussage, KI demokratisiere die Kunst, nicht nur von unerträglicher Ignoranz und Dummheit gegenüber allen, die sich auf diesen Schaffensprozess einlassen. Sie zeugt auch von der Banalität einer Kunstauffassung, die die Vernichtung des künstlerischen Schaffens zur Folge haben und sich als totalitäre Herrschaft am Produkt erweisen wird.