Buchbesprechung: Die Humane Marktwirtschaft

Von Peter Haisenko und Hubert von Brunn, Anderwelt-Verlag 2016.

Schon vor dem Corona-Lockdown befanden sich Teile der Wirtschaft auf dem Weg in die Rezession. Die Verbreitung des Virus hat diesen Niedergang beschleunigt, teilweise wird er durch lebensverlängernde Maßnahmen verzögert. Wann, wenn nicht jetzt, wäre daher der Zeitpunkt günstiger, um über den Aufbau einer neuen gerechteren Volkswirtschaft nachzudenken?

Den Entwurf einer solchen Volkswirtschaft skizzieren die Autoren Peter Haisenko und Hubert von Brunn in „Die Humane Marktwirtschaft“ auf rund 200 Seiten. Ausgehend von einem kurzen historischen Rückblick zeichnen sie den Status quo  als „Kartenhaus einer korrupten Wirtschafts- und Finanzpolitik“, das zwangsläufig bald in sich zusammenbrechen wird, und stellen diesem System die Idee einer neuen Marktwirtschaft gegenüber, in der „Gerechtigkeit, Wohlstand, Lebensfreude und Zufriedenheit für alle“ angestrebt werden.

Status Quo eines gierigen und korrupten Systems

Im ersten Teil des Buches zeigen die Autoren auf, was zu der enorm ungerechten Verteilung von Vermögen und zur Herausbildung eines „Turbokapitalismus“ geführt hat, wie wir ihn gegenwärtig erleben.

Wesentlichen Anteil daran hatten

  • die Abkoppelung des US-Dollars als Leitwährung vom Goldpreis in den 1970er-Jahren.
  • die daraus resultierende Möglichkeit, Geld in großen Mengen drucken zu können, ohne einen realen Gegenwert bereithalten zu müssen.
  • der daran anschließende Handel mit Währungen, der Umstand, dass Geld selbst zum Handelsgegenstand wurde, sowie der Handel mit Optionsscheinen.
  • Der Wegfall der Börsenumsatzsteuer in den 199er-Jahren, was den Hochgeschwindigkeitshandel begünstigte.
  • die Schieflage im Außenhandel, was dazu führt, dass Deutschland als „Exportweltmeister“ zwar auf dem Papier enorme Überschüsse erzielt, dass diese Gelder aber nicht zur Verfügung stehen, weil kein Land der Welt seine Schulden mehr bezahlen kann.
  • der Zusammenbruch der Sowjetunion, was dazu führte, dass sich der Kapitalismus nicht mehr als das „bessere“ System erweisen musste.

Fazit: Turbokapitalismus und Globalisierung kennen seit den 1990ern keine Grenzen und keine Konkurrenz mehr. Einfache Tätigkeiten wurden zu Hungerlöhnen und unter Umgehung von Umweltschutz und Sicherheit in Billiglohnländer verlagert. Geld verlor den Charakter des Tauschmittels und wurde selbst zum  Spekulationsobjekt, das sich aus sich selbst heraus vermehrte.

Während es den Superreichen gelingt, dieses System zur Anhäufung wahnwitziger Vermögen auszunutzen, gehen ganze Volkswirtschaften daran zugrunde oder werden von eben dieser Elite ruiniert.

Die humane Marktwirtschaft als Gegenmodell

Eine humane Marktwirtschaft, wie die Autoren sie entwickeln, basiert auf der Idee, dass nicht Geld, sondern Arbeit die Grundlage jeder Volkswirtschaft darstellt, und zwar insbesondere im Bereich Produktion. Nur durch Arbeit/Güterproduktion wird Reichtum erwirtschaftet, nur durch Produktion und Handel können auch Bereiche wie Dienstleistung und Kultur finanziert werden. Geld stellt lediglich ein Tauschmittel dar. Es soll sich nicht „aus sich selbst heraus“ vermehren, sondern einem realen Gegenwert entsprechen, der vorab von den Angehörigen einer Volkswirtschaft erarbeitet wurde.

Umlageprinzip und Wertspeicher

Die humane Marktwirtschaft orientiert sich zudem an einem Umlageprinzip, das dem deutschen Rentensystem gleicht. Was bedeutet: Überflüssiges Geld wird nicht auf privaten Konten angespart, sondern in einen „Wertspeicher“ eingezahlt. Aus diesem wird es beständig in Umlauf gebracht, die Einzahler erhalten jedoch Zertifikate, die sie bei Bedarf jederzeit einlösen können. Das Ansparen großer Reichtümer lohnt sich ebenso  wenig wie die Vergabe von Krediten, da es keine Zinsen mehr gibt.

Dem Wertspeicher kommt innerhalb dieses Systems die größte Bedeutung zu – man kann ihn sich vielleicht wie eine riesige Bank vorstellen, in der das gesamte Vermögen einer Volkswirtschaft verwaltet wird. Allerdings nicht, und das ist das Entscheidende, mit dem Ziel das Geld zu vermehren oder es gegen Zinsen zu verleihen, sondern mit der Aufgabe, es beständig in Umlauf zu halten und damit seinen Wert zu stabilisieren.

Gemeinschaft und Grundsicherung als Garant für gemeinsamen Wohlstand

Die Humane Marktwirtschaft, wird von den Autoren weiter ausdifferenziert und vieles erscheint sowohl klug durchdacht als auch realisierbar.  Begeistert hat mich insbesondere die Vorstellung einer Gemeinschaft, die zum Wohle aller aktiv wird, in der jeder eine minimale Grundsicherung erhält und in der Nachhaltigkeit und Lebensfreude ebenso zum Vokabular eines Volkswirtes gehören wie Bilanzierung und Wohlstand.

Leistungsgedanke und die Vernachlässigung sozialer Fragen

Doch zeigt insbesondere das Modell des gesicherten Grundeinkommens, das Teil dieses Konzeptes ist, dass es sich bei der humanen Marktwirtschaft letztlich um einen Entwurf handelt, der vom gut situierten Mittelstand ausgeht und für diesen erschaffen wird. Denn den 400 Euro, die theoretisch jeder als Grundsicherung auf der Haben-Seite verbuchen kann, stehen zahlreiche Abzüge auf der Soll-Seite gegenüber: die Pflicht, sich selbst gegen Krankheit zu versichern und Altersvorsorge zu betreiben beispielsweise. Oder der Abzug der Grundsicherung vom Gehalt, sobald dieses 2000 Euro übersteigt.

Wer weiß, dass es ohnehin kaum möglich ist, von 400 Euro im Monat zu existieren, fragt sich, wie die Armen dies leisten sollen. Im Konzept der humanen Marktwirtschaft wird zwar auch von Geldern für „soziale Härtefälle“ gesprochen, konkrete Ausführungen dazu fehlen jedoch. Dafür wird klar, dass im Zentrum des Modells der Leistungsgedanke steht: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht teilhaben. Oder eben gerade in einem Maße, das sein Überleben sichert.

Fazit: Kein wirklicher Gegenentwurf, aber ein inspirierender Einstieg

Insgesamt lautet mein Fazit daher: Lesenswert für alle, die es wie ich bisher versäumt haben, sich mit den Grundzügen unserer Marktwirtschaft und speziell den Gründen für die enorme Ungleichverteilung von Reichtum zu befassen. Verblüffend, inspirierend, letztlich auch erheiternd, wenn man sich vorstellt, dass eben besagter Reichtum eigentlich nur auf einer Illusion beruht.

Als echter Gegenentwurf zu einer sozialen Marktwirtschaft scheint mir das Modell dagegen wenig geeignet. Hinzu kommt, dass sich ein Hauch von „globaler Verschwörung“, an der sogar die Gewerkschaften teilhaben,  und der Wunsch nach nationaler Abschottung durch die Zeilen zieht. Damit ist auch das Denkkollektiv bezeichnet, dem die Autoren angehören. Dennoch: Wenn ihr euch einen ersten Eindruck verschaffen wollt, in welche Richtung sich eine soziale Marktwirtschaft weiterentwickeln könnte, kann ich die Lektüre empfehlen.

Bibliographische Angaben:

Haisenko, Peter/von Brunn, Hubert: Die Humane Marktwirtschaft. Das Wirtschafts- und Finanzsystem zum Wohle aller Menschen. Anderwelt-Verlag, 2. Auflage, 2016.

ISBN: 978-3-940321-13-8

Verkaufspreis 15,- €.

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