Tit er jeg glad

Carl August Nielsen zum 160. Geburtstag

Heute ist der Geburtstag eines dänischen Komponisten, der als einer der bedeutendsten Komponisten des Landes gilt, und dessen Lieder ihm einen Platz im Herzen vieler Menschen in und außerhalb Dänemarks verschafft haben.

In diesem Beitrag möchte ich euch Carl Nielsen und eines seiner Lieder vorstellen, in dem ich jenes von Freude und von Sehnsucht geprägte Lebensgefühl wiederzuerkennen meine, das mein neues Leben als Auswanderin in Nordjütland gerade so mit sich bringt.

Carl Nielsens Werdegang

Carl August Nielsen wurde am 9. Juni 1865 auf Fünen als siebtes Kind eines Anstreichers geboren. Der Vater war beruflich oft unterwegs, die Mutter dann allein auf sich gestellt und bemüht, die Kinder irgendwie durchzubringen.

Als Carl acht Jahre alt war, erteilte ihm der Vater Violinenunterricht, später lernte er zudem Trompete, was es ihm ermöglichte, mit 14 Jahren eine Stelle als Militärmusiker in Odense anzutreten.

1883 studierte Karl mithilfe eines Stipendiums in Kopenhagen Violine, fünf Jahre später veröffentlichte er erfolgreich seine erste „kleine Suite für Streicher“ und erhielt im Folgejahr eine Anstellung als Violinist am Königlichen Theater in Kopenhagen. 1891 heiratete er seine erste und einzige Frau, die Bildhauerin Anna Marie Brodersen.

Nielsens Musikerleben zeichnete sich durch seine rege Tätigkeit  als Violinist, Dirigent und Komponist aus, doch ein größerer Durchbruch gelang ihm erst 1916. Gemeinsam mit anderen Musikern und Dichtern gab er zudem verschiedene Sammlungen von eigens komponierten Volksliedern heraus – darunter das Folkehøjskolens Melodibog.

1925 wurde er „wie ein Volksheld gefeiert“, und so wie H.C. Andersen heute als der Nationaldichter Dänemarks gilt, kommt Nielsen eine ähnliche Rolle als Komponist zu. Beiden gemeinsam ist zudem, dass sie aus armen Elternhäusern stammen, die sich eine künstlerische Ausbildung eigentlich nicht leisten konnten, dass sie aber Unterstützer fanden, die ihnen dazu verhalfen.

Bildquelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Nielsen_(Komponist)#/media/Datei:Carl_Nielsen_c._1908_-_Restoration.jpg

Carl August Nielsen als Liedkomponist

„Wenn ich diese leicht verständlichen, einfachen Melodien schreibe, ist es, als ob gar nicht ich es wäre, der komponiert; als ob – wie soll ich sagen – es Menschen aus meiner Kindheit auf Fünen wären oder als ob das dänische Volk durch mich etwas wollte. Aber es mag so groß klingen, weil die Sache so gleichmäßig und einfach ist; zumindest für mich.“

”Naar jeg skriver disse letfattelige, enkle Melodier er det som om det slet ikke er mig der komponerer; det er som om – hvad skal jeg sige – det var Folk fra min Barndom ovre paa Fyn eller som om det var det danske Folk som ønsker noget gennem mig. Men det lyder maaske saa stort, da Sagen er saa jævn og simpel; i hvert fald for mig.”

Quelle

Seit der Jahrhundertwende hat Nielsen zahlreiche Lieder komponiert, die sich durch eine ebenso schlichte wie edle Melodieführung und eine ein- bis dreistellige Stimmführung auszeichnen.  Darunter auch mein derzeitiges Lieblingslied „tit er jeg glad“.

Tit er jeg glad 

Ich bin mit dem Gesamtwerk von Nielsen noch nicht wirklich vertraut, aber eines seiner Lieder hat mich unmittelbar ins Herz getroffen: Die Vertonung eines Liebesgedichtes von Bernhard Severin Ingemann (1789-1862) mit dem Titel „Oft bin ich glücklich“. Der Text stammt aus dem Jahr 1812, Nielsens Vertonung aus dem Jahr 1917.

Eine sehr einprägsame Version des DR Mädchenchors unter Mitwirkung von Lau Højen findet ihr auf YouTube:

Wie vielseitig sich das Lied interpretieren lässt, bemerkt ihr, wenn ihr zum Vergleich noch der Version von Anne Dorte Michelsen lauscht, die von Helge Lillervedt am Piano begleitet wird:

Tit er jeg glad                                                                   Oft bin ich glücklich

Tit er jeg glad og vil dog gerne græde,                    Oft bin ich glücklich und will doch gerne weinen,
thi intet hjerte deler helt min glæde.                      weil niemandes Herz mein Glück teilt.
Tit er jeg sorrigfuld og må dog le,                            Oft bin ich traurig und muss doch lachen,
at ingen skal den bange tåre se.                               weil niemand die bange Traene sehen soll.

Tit elsker jeg, og vil dog gerne sukke;                    Oft liebe ich und will doch gerne seufzen;
tit hjertet må sig tavst og strengt tillukke.            oft muss das Herz schweigen und sich streng verschließen.
Tit harmes jeg, og dog jeg smile må,                      Oft wütet es in mir und doch lächle ich,
thi det er dårer, som jeg harmes på.                       denn es sind Narren, die mich erzürnen.

Tit er jeg varm, og isner i min varme;                    Oft ist mir warm und ich friere in meiner Wärme;
thi verden favner mig med frosne arme.               weil die Welt mich mit frostigen Armen umfängt.
Tit er jeg kold – og rødmer dog derved;                 Oft ist mir kalt – und ich erröte dennoch,
thi verden slukker ej min kærlighed.                      denn die Welt löscht meine Liebe nicht aus.

Tit taler jeg – og vil dog gerne tie,                            Oft spreche ich – und will doch gerne schweigen,
hvor ordet ej må tanken oppebie.                            wo das Wort den Gedanken nicht abwarten kann.
Tit er jeg stum – og ønsker tordenrøst,                   Oft bin ich stumm, wünsche mir eine laute Stimme,
for at udtømme det beklemte bryst.                       um die beklemmte Brust auszuleeren.

O du, som ene dele kan min glæde!                        O du, die eine, die meine Freude teilen kann!
du ved hvis barm jeg turde frit udgræde!              Du weißt, an wessen Brust ich mich ausweinte.
O, hvis du kendte, hvis du elsked mig,                   O wenn du mich kenntest, wenn du mich liebtest,
jeg kunne være, som jeg er – hos dig.                      könnte ich sein, wer ich bin – bei dir.

Die Liebesgeschichte, die hier von einer Vielzahl widersprüchlicher Gefühle erzählt, handelt von einem männlichen „Ich“, das sich an die Brust der einen Geliebten zurückwünscht, um von ihr erkannt und geliebt zu werden. Doch für mich spiegelt sich in Text und Melodie in großen Teilen auch, wie ich mich seit unserer Auswanderung nach Dänemark fühle.

Oft bin ich glücklich, aber ich vermisse die Menschen, mit denen ich dieses Glück gern teilen würde – über meinen Mann hinaus. Ich liebe dieses Land und unser neues Leben – und doch tritt es mir manchmal mit großer Härte entgegen. Und oft fühle ich, dass ich das, was ich so gern ausdrücken möchte über diese Liebe und über dieses Land, nicht in Worte fassen kann, dass mir die Sprache fehlt, um angemessen davon zu erzählen, wie ein Blick auf das samtene Glitzergras, ein Hochschauen in den einzigartigen Himmel oder das sanfte Tosen des Windes mir dieses Glück in die Seele pflanzen.

Aber zum Glück ist da – in meinem Fall – der eine, bei dem ich sein kann, wie ich bin – auch wenn ich mich im Alltag oft zusammennehmen und die „Verwirrung der Gefühle“ überspielen muss.

Im Wechselspiel von Dur und Moll: Besonderheiten der Komposition

Die Widersprüchlichkeit oder sagen wir besser, die Gleichzeitigkeit von Gefühlen und Wahrnehmungen, die einander nicht aufheben, sondern sich noch gegenseitig verstärken, drückt sich auch in Nielsens Komposition aus. Das Lied ist ursprünglich in c-Moll verfasst, einer Tonart, die häufig für traurige Liebeslieder verwendet wird und wurde, die also den Blues schon in sich trägt.

Doch die Melodieführung verhält sich gegenläufig zum Text, indem sie mit Dur- und Moll-Akkorden spielt und beispielsweise die eingangs erwähnte Freude des lyrischen Ich damit musikalisch widerlegt. Diese Widersetzlichkeit der Musik gegen den Text zeigt sich auch in der Auf- beziehungsweise Abwärtsführung der Melodie: In den ersten beiden Eingangszeilen wird der Vers abwärts geführt, die Freude steigt also melodisch ab. In den folgenden zwei Zeilen wird die Trauer sprunghaft auf den Höhepunkt geführt, wo sie wiederum auf ihren Gegenpart, das Lachen trifft, bevor sie in eine kurze dramatische Spannung in Form einer verminderten Subdominante übergeht, um sich schließlich zurück in die Ruheposition ihres Grundtons zu bewegen. Bis das Spiel von vorn beginnt.

Heute, am 9. Juni 2025, würde Carl Nielsen seinen 160. Geburtstag feiern. Doch er starb am 3. Oktober 1931 an Herzversagen. Ihm zu Ehren wurde in Odense das Carl-Nielsen-Museum eröffnet, das sich etwa 220 Meter entfernt vom H.C.-Andersen-Haus befindet. Ein glücklicher Zufall (?), wie ich finde, denn die Nähe zwischen beiden Künstlern, geht über das Geografische gewiss hinaus.

Die Carl Nielsen Gesellschaft pflegt das Andenken des Komponisten (auch) in einer Onlinepräsenz, die ihr über diesen Link aufrufen könnt.

2 Gedanken zu „Tit er jeg glad

  • 10. Juni 2025 um 10:12 Uhr
    Permalink

    Liebe Sabine ganz herzlichen Dank für das wunderschöne Lied, und das Mitteilen deiner Gefühlswelt. Möge sie immer wieder von Harmonie begleitet sein, dir Sicherheit gebend, du selbst zu sein, an der Seite deines Mannes.

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