Historien om et mord. Af Kathinka Lindhe
War es Liebe oder die Geschichte einer narzisstischen Unterwerfung? War es am Ende ein gemeinsam geplanter Selbstmord oder Mord? Elvira Madigan und Sixten Sparre, die Seiltänzerin und der Leutnant aus altem schwedischen Adelsgeschlecht, gehören zu jenen historischen Liebespaaren, die Romantiker gern in eine Reihe mit Romeo und Julia oder Abaelard und Heloise stellen. Schon der Titel, den die schwedische Verfasserin und Urenkelin von Sparre für ihre eigene Veröffentlichung wählte, lässt ahnen, dass sie zu einem gänzlich anderen Ergebnis gelangt. Oder?
Wer waren Elvira Madigan und Sixten Sparre?
In Skandinavien und Dänemark gehört die Geschichte von Elvira und Sixten zum Allgemeinwissen, in anderen Ländern ist dies gegenwärtig wohl nicht mehr so, weshalb ich an dieser Stelle zunächst kurz erzählen möchte, worum es eigentlich geht.
Tåsinge und die Schüsse aus dem Nørreskov
Im Juli 1889 hallen auf der bei Feriengästen beliebten Insel Tåsinge zwei Schüsse durch den Nordwald. Die Schüsse fallen mit kurzem zeitlichen Abstand. Abgefeuert hat sie der Dragonerleutnant Sixten Sparre, der erst seine Geliebte Elvira Madigan erschoss, und anschließend, nachdem er der jungen Frau in einer vermeintlich liebevollen Geste die Hände über der Brust gekreuzt hatte, sich selbst.
Die Untersuchung des Fundortes deutete darauf hin, dass dort kein Kampf stattgefunden hat, deshalb geht man davon aus, dass Elvira und Sixten ihren Selbstmord gemeinsam geplant hatten, um der misslichen Lage, in die sie durch ihre vorangegangene Flucht geraten waren, zu entkommen.
Elvira Madigan, die zu dieser Zeit eine berühmte Seiltänzerin von gerade mal 21 Jahren ist, hatte ihre Familie und deren Zirkus klammheimlich verlassen, um mit Sixten ein neues Leben beginnen zu können. Doch Sixten Sparre, ihr 14 Jahre älterer Liebhaber, ist auf mehrfache Weise gebunden, denn er ist Dragonerleutnant, Ehemann, Vater und noch dazu hoch verschuldet und mittellos und wird durch seine Flucht schließlich zum Deserteur.
Nicht die besten Grundlagen, um ein neues Leben zu beginnen.
In den zahlreichen Zeitungsartikeln, die über das ungleiche Paar berichteten, wurde aus einer dramatisch endenden Flucht eine der großen Liebesgeschichten Skandinaviens; und auch Literaten und Filmemacher meinten, darin eine herzerwärmende Story zu finden, die von Liebe und von zwei starken Charakteren erzählt, die sich den unbarmherzigen gesellschaftlichen Konventionen ihrer Zeit zu widersetzen versuchten. Noch 1989 erzählte die dänische Kinderbuchautorin Herta J. Envoldesen die Geschichte der „Cirkusprinzessin Elvira“ wie eine romantische Liebesgeschichte zweier Menschen, die vom Schicksal füreinander bestimmt waren.
Doch die Wirklichkeit ist selten so eindeutig wie ein gut entwickelter Charakter in einem Roman.

Elvira Madigan in 1888
Photography:
Lisa Landberg, Oskarshamn (uncertain)
Vom Tabu zur Mikrohistorie: Kathinka Lindhes Sachbuch über ihren Urgroßvater Sixten Sparre
Wie sich die Sache wirklich zugetragen haben mag, ob es ein gemeinsam geplanter Selbstmord war oder ob Sixten Elvira während ihres letzten Picknicks unvorbereitet erschossen hat, dieser Frage geht Sixtens Urenkelin Kathinka Lindhe in ihrem Buch „Sixten & Elvira: Historien om et mord“ nach, das 2021 im Gads Forlag erschien und von Anette Dina Sørensen aus dem Schwedischen ins Dänische übersetzt worden war.
Lindhe unternimmt den Versuch, das Tabu, über das in ihrer Familie nicht gesprochen werden sollte, wie ein Mosaik zusammenzulegen. Damit leistet sie nicht allein einen Beitrag zur Wahrheitsfindung, sie gibt uns mit den Mitteln der Mikrohistorie auch Einblick in den Zeitgeist, der sich in dem Schicksal des ungleichen Paares widerspiegelt. Und mehr noch: Wir erfahren hier auch einiges, über einen Menschen, dem all die sentimentalen Geschichten um eine vermeintlich unzerstörbare Liebe schwer zugesetzt haben dürften, der aber sonst nirgendwo vorkommt: über Sixtens Ehefrau Luitgaard, die allein mit zwei Kindern und einem Haufen Schulden das Unglück, das Sixten ihr hinterließ, meistern musste.

Photography: Carl Krook, Kristianstad, Swede
In acht Kapiteln, die von jeweils einem Prolog und einem Epilog, einem Vorwort und einer Danksagung umrandet werden, nähert sich Kathinka Lindhe chronologisch dem an, was sich über die Geschichte und die Romanze von Elvira und Sixten tatsächlich wissen und was sich – mit aller Vorsicht – daraus schlussfolgern lässt. Nach und nach entsteht so das Bild eines Paares, das einander braucht, um jeweils eigene Zielsetzungen zu erreichen, Zielsetzungen, die sich nicht harmonisch ineinander schmiegen, sondern einander disharmonisch kreuzen. Es lässt sich vermuten – das ist meine eigene Schlussfolgerung – dass das Paar es im Leben tatsächlich nicht lange miteinander ausgehalten hätte.
Aber wie kommt Kathinka Lindhe dazu, von einem Mord zu sprechen? Und bleibt sie am Ende dabei? Das werde ich an dieser Stelle natürlich nicht verraten. Denn so viel ist noch hinzuzufügen: Lindhe reiht die Ereignisse nicht nur rein sachlich in Dokumenten und Kommentaren aneinander, wie es beispielsweise der Historiker und Ex-Polizist Anders Enevig, der ebenfalls ein geschätztes Sachbuch zum Thema verfasste, tat; sie versteht sich auch darauf, das Persönliche und das Faktische in einem lebhaften und ansprechenden Erzählstil zu verbinden. Es lohnt sich also, selbst mit Kathinka Lindhe auf Spurensuche zu gehen.
Biografische Angaben:
Lindhe, Kathinka: Sixten & Elvira – Historien om et mord.
Textredaktion und Übersetzung: Anette Dina Sørensen
Gads Forlag 2021
ISBN 978-87-12-06471-8
Preis: 299,95 kr
Das Buch ist zudem als E-Book erhältlich. Meine Rezension bezieht sich auf die bei eReolen ausleihbare Version.
Literatur, die im Text erwähnt wird
Enevig, Anders: Fakta om Elvira Madigan og Sixten Sparre
Wisby & Wilkens 2005
Enevoldsen, Herta J.: Cirkusprinsessen Elvira Madigan: ungdomsroman
Carlsen Verlag 2016
Tipp für Dänischlerner: Es gibt ein Kurzfassung der Geschichte von Kirsten Ahlburg in „einfacher Sprache“ aus dem Special-pædagogisk forlag, die in gedruckter Form und als E-Book erhältlich ist. Mir hat diese Version nicht besonders gut gefallen, aber wer sich in seiner Lieblingssprache erstmal ins Thema einlesen möchte, dem bietet sie eine gute Gelegenheit dazu.
Liebe Sabine wieder x meine Hochachtung vor deinem Fleiß. Bei narzisstischer Unterwerfung bin ich seit gestern am Grübeln. Es gibt narzisstische zerstörerische Beziehungen in der ein Narzisst nur eine Meinung hat , nämlich seine eigene und den Partner ( in) damit zur Unterwerfung zwingt. Ein Narzisst unterwirft sich selbst nicht. Vielleicht meinen wir das Gleiche. Lieben Gruß gute Besserung wünscht dir Hanni. Ich freue mich für euch über eure neue Heimat und ihr nicht ausgestiegen sondern mit Sprache, Interesse an der Historie in ein neues kinderfreundliches Land eingestiegen seid. Das braucht nicht veröffentlicht werden .
Liebe Hanni,
es freut mich, dass du mir den Satz nicht einfach so durchgehen lässt, denn es zeigt einmal mehr deine aufmerksame und gestrenge Lesart, nach der doch jeder Autor dürstet. (Tak for rette mig, sagt man, glaube ich, auf Dänisch, zu Deutsch: Danke für die Korrektur!)
Ich habe tatsächlich auch gezögert, das darin angelegte Missverständnis gespürt, fand den Ausdruck dann für das Verhältnis der beiden doch zutreffend, auch und gerade, weil er so uneindeutig ist.
Sehr gern veröffentliche ich deinen Kommentar hier also – es sei denn, dein „braucht nicht“ sollte eigentlich ein „soll nicht“ sein, dann schreib mir schnell, damit ich ihn wieder entferne. 🙂
Ich hoffe, du hast es auch gut in der Heimat – liebe Grüße
Sabine