„Wenn es nicht so absurd, fast schon zynisch klänge, würde ich sagen: Es war weder Mord noch Selbstmord, es war Fahrlässigkeit. Jene Fahrlässigkeit, aus der heraus wir annehmen, die Welt in unserem Kopf wäre real und es gäbe überhaupt keine andere aufrichtige Art zu denken und zu fühlen als die eigene. Jene Fahrlässigkeit, aus der heraus wir es versäumen, jeden Tag und jede Sekunde neu zu prüfen, ob wir wirklich lieben oder uns nur daran ergötzen, das Bild, das wir angestrengt von uns selbst erzeugen, in einem uns duldenden DU gespiegelt zu sehen.“
Zuerst dachte ich ja, es wäre nur eine Marotte, ein kurzes Verliebtsein in eine Idee. Aber so langsam merke ich: Da wartet etwas auf mich. Ein Thema, ein Stoff, der neu erzählt werden will. Auch wenn es anmaßend erscheinen mag, denn das Liebespaar, mit dem ich mich aktuell befasse, gehört zu den bekanntesten Liebespaaren Skandinaviens und so haben sich schon eine ganze Reihe besserer und bekannterer Autoren daran versucht.
Glaube ich also, dass ich der Historie durch meine Erzählung etwas Neues hinzufügen kann? Ich hoffe es zumindest! Denn Elvira und Sixten, von denen ich hier bereits erzählt habe, sind für mich das Paradebeispiel einer „Verwirrung der Gefühle“, die dazu führt, dass man von Liebe spricht, wo man einander nur gebraucht, und einander umso tiefer verletzt, je mehr man versucht, alte Wunden zu heilen.
Aber sie sind auch ein Paar, dessen Beziehung mir deutlich komplexer zu sein scheint, als es die mir bisher bekannten Mythen und Interpretationen wiedergeben. So sind Elvira und Sixten für die einen ein mutiges Liebespaar, das die gesellschaftlichen Ketten sprengte, um schließlich miteinander in den Tod zu gehen. Für die anderen ist Elvira ganz klar das Opfer – mal aufgrund ihrer Kindheit und Jugend, die als trist und von Missbrauch durchzogen dargestellt wird (ohne dass es meines Wissens dafür irgendwelche Beweise gibt) – mal aufgrund der Annahme, dass sie ihrem deutlich älteren Verführer gegenüber eine Art willenlose Gefolgschaft leistete oder gar von dessen Tötungswillen überrascht wurde.

Aus meiner Sicht aber tun wir ausgerechnet Elvira, der außergewöhnlich talentierten Seiltänzerin erneut Unrecht, wenn wir sie auf die Opferrolle begrenzen. Und die Frage lautet doch gerade: Wie kommt eine solche Frau, die es gewohnt ist, Tag für Tag jeden Schritt, den sie auf dem Seil geht, diszipliniert zu üben, die Bewunderung und Applaus genießt und eine königliche Auszeichnung erhielt, die als ebenso schön wie gebildet galt, dazu, sich aus all dem zurückziehen zu wollen, nur um einem verheirateten Mann in ein mittelmäßiges Leben zu folgen?
Nein, ihr Lieben, das kann ich so nicht glauben, mag es auch noch so vermessen erscheinen. 😉
Daher frage ich mich: Ist es vielleicht nur unsere eigene beschränkte Sichtweise, die uns den Blick auf ein Paar versperrt, dessen „Rollenverteilung“ sich womöglich ganz anders darstellt, als wir es zu betrachten gewohnt sind? Weil wir mal wieder dem Glauben verfallen sind, die klügste, aufgeklärteste und überhaupt fairste und emanzipierteste Generation seit Menschheitsgedenken zu sein?
Noch weiß ich es nicht, aber ich habe natürlich so meine Ahnungen. Wie auch mein Protagonist, der junge Journalist, Jesper Hansen, den ich die Geschichte erzählen lasse, weil er viel näher an den Personen und den Geschehnissen dran ist als wir es heute sind.
Ich bin gespannt, wohin mich seine nicht ganz unvoreingenommene Erzählung führen wird. Und ich freue mich natürlich, wenn ihr meine Spannung mit mir teilt und in den nächsten Monaten mit Interesse verfolgt, was er mir vorab zu veröffentlichen erlaubt. Genauso, wie ich mich über jeden eurer Kommentare oder über eure Anregungen und Bemerkungen freue, die mir zeigen, dass ich hier (von den nervigen Spammern abgesehen) nicht ganz allein mit meinen einsamen Gedanken und Geschichten bin. 😉